Dienstag, 20. Mai 2008

Sokrates

Gefährliche Fragen

Sokrates(469-399v.Chr.), der unter den Philosophen zweifellos berühmt ist, hatte eine Frau, oder sollte man besser Weib sagen, die unter den Frauen der Philosophen sicher die Berühmteste ist. Xanthippe hat es zu zweifelhaftem Ruhm gebracht. Sie bietet alles auf, um ihren Gatten nicht zum Philosophieren kommen zu lassen, denn er ist ein echter Müßiggänger. Er geht auf Märkte und Sportplätze, und schwatzt mit jedem, der ihm über den Weg läuft. Statt den gelernten Beruf des Steinmetzes auszuüben, statt sich um das Haus, die Frau und die Söhne zu sorgen, geht er lieber philosophieren. Das ist es, was Xanthippe wurmt. Nicht einmal das Geld für ein paar Schuhe soll er gehabt haben. “Wie zahlreich sind doch die Dinge derer ich nicht bedarf.” / “Wer am wenigsten bedarf, ist den Göttern am nächsten.” (Zitate Sokrates)

Die arme Xanthippe macht ihm zu Hause die Hölle heiß und schafft, dass ihm das Heim so ungemütlich gemacht wird, wie es nur geht. Doch erreicht sie damit nur das genaue Gegenteil, nämlich dass sich Sokrates nur um so öfter aus dem Staub macht, um mit seinen Freunden zu philosophieren. So aber hat sie auch zu dem beigetragen, was aus ihrem Mann geworden ist, denn hätte er sich in einem Arbeitszimmer vergraben, wäre er sicher nicht der Sokrates geworden, der er wohl war. Gelegentlich schüttet sie ihm aus dem Fenster einen Eimer schmutzigen Wassers über den Kopf, oder sie läuft ihm nach und reißt ihm auf dem öffentlichen Markt die Kleider vom Leibe. Er meinte, der Umgang mit einem solch widerspenstigen Weibe, habe auch sein Gutes, denn wer mit ihr fertig werde, der kann es mit jedem. Als ihn der Wasserguss von oben traf, soll er gesagt haben:

“Sagte ich nicht, dass Xanthippe, wenn sie donnert auch Regen spende?”

Sein genialer Schüler Alkibiades fand: “Die keifende Xanthippe ist unausstehlich!”

Aber Sokrates entgegnete: “Auch du lässt dir doch das Geschrei der Gänse gefallen.”

Nietzsche bemerkte mit seinem psychologischen Spürsinn später: “Sokrates fand eine Frau, wie er sie brauchte… Tatsächlich trieb ihn Xanthippe in seinen eigentümlichen Beruf immer mehr hinein, indem sie ihm Haus und Heim unhäuslich und unheimlich machte.” Man darf nicht vergessen, dass Sokrates ein Athener war, und in Athen, der Stadt mit der großen Lust am öffentlichen Leben, gilt nur, wer selber in die Öffentlichkeit tritt.

Er war aber keineswegs ein schlaffer Nichtstuer. Von “vortrefflicher körperlicher Gesundheit” soll er gewesen sein, wie es ein Zeitzeuge berichtet. Er tanzte, trieb eifrig Gymnastik, um gesund zu bleiben. Als einfacher Soldat, habe er sich auch an mehreren Feldzügen beteiligt, und dort seine Härte im Ertragen von Strapazen bewiesen. Als sich andere vor Kälte vermummten, ging er barfuß über das Eis. Und als alle sich in wilder Flucht davon machten, schritt er gelassen neben seinem General, “ruhig schauend, nach Freund und Feind”, wird berichtet.

Wenigstens in den Augen Xanthippes ist er ein Herumtreiber, Schwätzer und ewiger Diskutierer. Kaum das er jemanden auf der Straße sieht, geht er auf ihn zu und fängt sogleich ein Gespräch mit ihm an, egal ob derjenige ein Staatsmann, ein Schuster, ein General oder ein Eselstreiber ist.

Er meint, was er zu sagen hat, gehe jeden etwas an, weil es ihm auf das rechte Denken ankommt, dass man versteht was man sagt, und dass man über sich selber Rechenschaft ablegt. Wie er mit andren redet schildert der angesehene Feldherr Nikias in einem Bericht Platons: “Du scheinst mir nicht zu wissen, was geschieht, wenn jemand dem Sokrates ganz nahe ist und sich mit ihm auf ein Gespräch einlässt; auch wenn er sich zunächst über etwas anderes unterhält, wird er notgedrungen und unaufhörlich von jenem durch Reden umhergeführt, bis er dahin geraten ist, dass er sich selber Rechenschaft darüber gibt, wie er jetzt lebt und wie er sein bisheriges Leben gelebt hat.” Wer sich mit ihm in ein Gespräch einlässt ist rasch verloren, denn Sokrates versteht es mit Ironie und dialektischem Geschick, seinem Gesprächspartner erkenntlich zu machen, dass er im Grunde nichts von dem versteht, worüber dieser so selbstsicher daherredet, und dass er am wenigsten sich selber versteht. Dies ist seinen Opfern selten angenehm, und so wird berichtet, dass er oft von den Athenern verächtlich behandelt, verlacht und gelegentlich unsanft angefasst wurde. Nur ein paar adelige Müßiggänger halten zu ihm und begleiten ihn auf seinen Streifzügen durch die Stadt. Die ehrbaren Bürger aber, wollen mit ihm nichts zu tun haben.

Was sie aber nicht erkennen, und auch die Dichter seiner Zeit nicht sehen, die ihn einen

“Weltverbessernden Schwätzer” nennen und einen “Erfinder Spitzfindiger Rede” , ist, dass es ihm nicht darum geht im Streit der Argumente recht zu behalten. Vielmehr ist er ständig auf der Suche nach der Wahrheit, von der Suche nach ihr ist er besessen.

Vor seinem Tod sagte er zu einem Freund: “Ganz und gar nicht haben wir zu bedenken, was die vielen über uns sagen, sondern das, was der sagt, der sich auf das Gerechte und das Ungerechte versteht: der Eine und die Wahrheit selbst.” Er will herausfinden, wie es in Wahrheit mit dem Menschen und seinem künftigen Schicksal bestellt ist, denn er meint, davon hänge alles ab. Xenophon, ein schreibender Feldherr berichtet:

“Er unterhielt sich stets über die menschlichen Dinge und untersuchte, was fromm war und was gottlos, was schön war und was schimpflich, was gerecht und was ungerecht, was Besonnen und was Wahnsinn, was Tapferkeit und was Feigheit, was ein Staat und was ein Staatsmann, was Herrschaft über Menschen und was ein Herrscher über Menschen; er fragte auch nach allem anderen, wovon er glaubte, dass diejenigen, die es wissen, recht und gut seien.”

Er wollte mit seiner lästigen Fragerei die Menschen dazu bringen, zu verstehen, wie sie sich verhalten sollen, um wahrhaft menschlich zu sein. Rechtes Denken soll zu rechtem Handeln führen, den er sieht mit Schrecken den Verfall im Leben der Griechen, sieht die Ratlosigkeit in der Krisis, in die sich der griechische Geist seiner Zeit verstrickt. Dies ist, was er seinen Schülern und Freunden näher bringt. Platon schreibt später unter dem Eindruck des Sokrates: “Unser Staat wurde nicht mehr gemäß den Sitten und Einrichtungen der Väter verwaltet… Alle jetzigen Staaten insgesamt werden schlecht regiert; denn der Bereich der Gesetze befindet sich in einem fast unheilbaren Zustand.”

Deshalb verlangt Sokrates, wieder ehrlich zu fragen, weil dies bedeutet, auch den Mut zu haben die bitterste Wahrheit anzuerkennen. Er verlangt die Einsichten in die Not der Zeit, das Wissen, um die wahren Erfordernisse des Menschseins. Deshalb liebten ihn seine Schüler auch so sehr, aber deshalb viel er auch bei den Mächtigen seiner Zeit in Ungnade. Einstein sagte einmal, man dürfe niemals aufhören zu fragen!

Das Problem dabei war, dass Sokrates auch seinen Schülern, die ihn so sehr verehrten, keine Antworten geben konnte, auf die Fragen, die sie bewegten. Im Gegenteil, wenn man ihn fragte nach dem Gerechten und dem Guten, so gab er seine Unwissenheit sogar ausdrücklich vor dem Athener Gericht zu:

“Im Weggehen überlegte ich bei mir selber, dass ich wissender sei als jener Mensch. Denn keiner von uns beiden scheint etwas Gutes und Rechtes zu wissen; jener aber meint zu wissen und weiß doch nicht; ich jedoch, der ich nicht weiß, glaube auch nicht zu wissen; ich scheine somit um ein Geringes wissender zu sein als er, weil ich nicht meine zu wissen, was ich nicht weiß.”

Mit diesem Mut besiegelt er sein Schicksal, denn wer alles so sicher geglaubte fragwürdig macht, und selber keine Antworten gibt, ist nichts weiter als ein Scharlatan, der zersetzt mit seinen Fragen die ohnehin schon gefährdete Religion und untergräbt die Autorität der Obrigkeit.

Weil er zudem einen großen Schwarm junger Menschen um sich versammelt, kommt es dazu, dass sich die Athener dieses unliebsamen Mitbürgers entledigen wollen und sie machen ihm den Prozess. Die Anklage lautet, Gottlosigkeit und Verführung der Jugend.

Aber im Ernst: Ordnung muss sein, wer so radikal fragt, und selber doch nichts positives von sich gibt, der muss sich nicht wundern, wenn er am Ende mächtige Feinde gegen sich sieht. Doch bedeutet philosophieren nicht Infragestellen, dessen was man zu wissen glaubt? Natürlich bedeutet dies auch, dass das Bestehende fragwürdig gemacht wird! Die Anhänger des Bestehenden werden auch alles daran setzen, das Fragen des Philosophen zum Verstummen zu kriegen, aber wenn das Bestehende schon so weit unterhöhlt ist, wie zur Zeit des Sokrates, dann hilft es auch nicht sich vor dem Neuen zu verschließen, dann hilft nur der Mut dem Neuen den Boden zu bereiten. Dieser fehlende Mut zur radikalen Wahrhaftigkeit ist die geschichtliche Schuld der Athener, die es dem Sokrates verweigerten, der Zukunft den Weg zu bereiten.

Er jedoch verzichtet auf alle Versuche die Richter milde zu stimmen, er reizt sie sogar noch in seiner berühmten Athener Rede:

“Solange ich noch atme und dazu imstande bin, werde ich nicht aufhören zu philosophieren, euch ermahnend und entlarvend, wem immer unter euch ich begegne, und ich werde reden, wie ich es gewohnt bin: >Bester Mann, der du Athener bist, aus der größten und an Weißheit und Macht angesehenen Stadt, du schämst dich nicht, dich um möglichst viel Geld, Ruhm und Ehre zu sorgen, aber um Einsicht, Wahrheit und darum, dass die Seele so gut wie möglich werde, sorgst du dich nicht?< (…) Es ist das größte Gut für den Menschen, jeden Tag von Tugend zu sprechen und von all dem andern, worüber ihr mich reden hört, wenn ich im Gespräch mich und die andern prüfe; ein Leben ohne Prüfung aber ist für den Menschen nicht lebenswert! (…) Ich glaube, dass euch in eurer Stadt kein größeres Gut zuteil geworden ist als mein Dienst an dem Gotte Apollon. Denn was ich tue, ist nichts anderes, als dass ich umhergehe und die Jüngeren, wie die Älteren unter euch ermahne, sich weder um Leib noch Geld eher zu sorgen als um die Seele, dass sie nämlich so gut wie möglich werde… Wenn ihr mich tötet, werdet ihr nicht leicht einen anderen von dieser Art finden, der - mag es auch lächerlich klingen - geradezu der Stadt von dem Gotte beigegeben ist, wie einem großen und edlen Ross, das aber eben seiner Größe wegen eher träge ist und zu seiner Aufmunterung des Sporns bedarf. So, scheint mir, hat mich der Gott der Stadt beigegeben, als einen, der nicht aufhört, jeden einzelnen unter euch aufzuwecken, zu überreden und zu schelten.”

Er fordert zudem statt einer Strafe, zu der Ehre einer Speisung ins Rathaus eingeladen zu werden, der höchsten Auszeichnung für die Athener. So bleibt es nicht aus, dass er zum Tode verurteilt wird.

Man rät ihm zu fliehen, alles ist von seinen Freunden vorbereitet, doch er beschließt zu bleiben und seiner Strafe ins Auge zu sehen. Gesetzwidriges Handeln sei nichtswürdig und schändlich. Es sei nicht recht, ein Leben lang an den Wohltaten des Staates teilzunehmen, um dann, wenn einem die Sache unangenehm werde, den Gesetzen den Gehorsam aufzukündigen.

So bleibt die große Entdeckung des Sokrates, dass im Zerbrechen der Gewissheiten, wie es den Menschen in den Krisen ihrer Geschichte immer und immer wieder widerfahren ist, doch eines Gewiss bleiben muss: “Die unbedingte Verpflichtung zum Rechttun!”

Sie ist es, die unzerstörbar in den Herzen ruht, und um deren Willen er seinem Schicksal nicht entweichen wollte.

“Wo einer sich selber auf einen Posten stellt in der Überzeugung, das sei das Beste, da muss er, wie mir scheint, auf alle Gefahr hin ausharren und weder Tod noch irgend etwas anderes bedenken außer Schande. Ich nun würde seltsam handeln, ihr Männer von Athen, wenn ich da, wo mich -wie ich glaube und annehme, der Gott hingestellt hat, damit ich philosophierend lebe und mich und die andern prüfe, aus Furcht vor dem Tode oder irgend etwas anderem meinen Posten verließe.”

“Nun ist es Zeit wegzugehen: für mich, um zu sterben, für euch, um zu leben. Wer von uns dem besseren Zustand entgegengeht, ist jedem verborgen, außer dem Gott.”

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