Dienstag, 20. Mai 2008

Aristoteles

Der Akademiker

Aristoteles(384-322v.Chr.) wurde in der griechischen Provinz Thrakien geboren, in einer kleinen Stadt namens “Stageira”, in Makedonien. Er stammt aus gut bürgerlichem Hause, sein Vater war Arzt und trug den Titel eines Leibarztes des Königs von Makedonien. Doch statt die Praxis des Vaters zu übernehmen, will er lieber die Provinz verlassen und nach Athen gehen, in die geistige Hauptstadt des antiken Griechenlands. Die Familie lässt ihn ziehen, nicht aber ohne zuvor das Orakel befragt zu haben. Die göttliche Antwort lautet, er solle Philosophie studieren.

Der vermögende Vater stattet ihn tüchtig für sein Studium aus, und so geschieht es, dass er Zeit seines Lebens wert legt auf eine bequeme Lebensführung. Sein Zeitgenosse Diogenes, der dadurch berühmt wurde, dass er statt eines Hauses eine Tonne bewohnt, erscheint ihm wenig vorbildlich; denn zur Glückseligkeit gehöre es auch, dass man ausreichenden Anteil an den Gütern der Welt habe, meinte er.

Ein antiker Gewährsmann berichtete über ihn: “Er war schwach auf den Beinen und kleinäugig” und “stieß beim Sprechen mit der Zunge an”.

Die Philosophie ist zur Zeit des Aristoteles eine umfassende Angelegenheit, zu der im Grunde alles Wissen und alle Wissenschaft gehört. Der große Lehrer dieser Lehre im damaligen Athen ist kein geringerer als Platon, der im heiligen Hain des “Akademos” eine Schar von Schülern um sich versammelt, mit denen er gemeinsam philosophiert.

Mit siebzehn Jahren wird Aristoteles der Schüler des Platon und bleibt dies zwanzig lange Jahre. “Der Leser” soll Platons Spitzname für seinen Schüler gewesen sein, weil er sich mit auffälligem Fleiß den Büchern widmete. Er ist voll von Verehrung für seinen Meister, und diese respektvolle Gesinnung hält ein Leben lang an. Noch in späten Jahren sagt er, dass Platon ein Mann sei, den die Schlechten nicht einmal loben dürften; und mehr noch, Platon sei ein Gott.

So steht die Philosophie des Aristoteles in einer Linie mit der von Sokrates und Platon, jedoch ist es einleuchtend, dass diese genialen Denker auch zu jeweils eigenen Gedanken kamen. Auf die Dauer kam Aristoteles also zu eigenen Schlussfolgerungen, die dem alten Platon widersprachen. “Aristoteles hat gegen mich ausgeschlagen, wie es junge Füllen gegen die eigene Mutter tun.” (Platon)

Doch erst nach dem Tod des Lehrmeisters kommt es zum offenen Konflikt, denn nicht Aristoteles, sondern ein geringerer wird neues Haupt der Akademie. Er ist verstimmt und wandert aus, nach Kleinasien, zu einem Fürsten, der der Philosophie im platonischen Geiste angetan ist.

Doch als dieser von den Persern überfallen wird, verlässt Aristoteles dieses Land und kehrt zurück nach Makedonien. Dort übernimmt er die Erziehung eines Knaben von dreizehn Jahren, ein Junge, der einmal als Alexander der Große in die Geschichte eingehen wird. Heute wissen wir leider so gut wie nichts darüber, welchen Einfluss Aristoteles auf die Entwicklung des großen Feldherrn und Staatsmannes gehabt hat; und doch bleibt es seltsam sich vorzustellen, wie Macht und Geist in ihrer höchsten Ausprägung einige Jahre zusammenlebten.

Diese Aufgabe ist auch nicht ganz ungefährlich für Aristoteles gewesen. Sein Nachfolger als königlicher Erzieher, wurde als Verschwörer verhaftet und den Löwen zum Fraß vorgeworfen, ob zu Recht oder zu Unrecht lässt sich heute wohl kaum noch nachvollziehen. Die antike Klatschsucht nahm dieses Ereignis als Anlass, auch Aristoteles eines versuchten Giftmordes an Alexander zu beschuldigen. Doch auch wenn es wahr gewesen wäre, hätte ihn das nicht mehr zu bekümmern brauchen, weil er längst in die freie Stadt Athen zurückgezogen war.

Hier sammelt er eine Reihe von Schülern um sich, mit denen er sich in einer Säulenhalle trifft, um zu philosophieren. Dabei haben sie die Eigenschaft, während des Diskutierens ständig auf und ab zu schreiten, was die Athener so bemerkenswert finden, dass sie dem Aristoteles und seinen Anhängern den Beinamen “die Herumwandler” geben. Als die “Peripatetiker” ist die Schule des Aristoteles in die Philosophiegeschichte eingegangen, was zwar sehr intelligent klingt, aber nicht mehr bedeutet als “die Herumwandler”.

Seine Schüler berichten merkwürdiges von ihm: Er habe sich vor dem Schlafen einen Schlauch mit heißem Öl auf den Bauch gelegt, was wohl eine Bestätigung der Annahme ist, Aristoteles sei an einer Magenkrankheit gestorben. Noch viel komischer ist aber der Bericht, er habe eine Methode entwickelt, um seinen Schlaf abzukürzen, damit er so schnell wie möglich wieder wach werde und philosophieren kann. Er soll eine harte Kugel in die Hand genommen haben, und neben seinem Bett eine Schüssel gestellt haben. Wenn er dann einschlief, fiel die Kugel herunter in die Schüssel, und hat ihn so wieder aufgeschreckt. In solchen Anekdoten verlieren sich seine Schüler, die von ihrem Meister streng zur Mitarbeit an der eigenen Forschung herangezogen wurden. Auf diese Weise bildet sich zum ersten Mal in der abendländischen Geistesgeschichte eine organisierte Forschergemeinschaft.

Mit dem Tod von Alexander dem Großen ändern sich auch in Athen die politischen Verhältnisse, wer je mit den Makedoniern gehalten hat, wird nun der Kollaboration beschuldigt. Aristoteles offen für politische Vergehen zu beschuldigen ist nicht möglich, weil das Belastungsmaterial nicht ausreicht, und so bezichtigt man ihn der Gottes-lästerung. Wie schon bei Sokrates versuchen sich die Athener mit dieser Anklage einen zu einflussreich gewordenen Denker vom Hals zu schaffen. Doch im Gegensatz zu Sokrates beschließt Aristoteles die Flucht, der Legende nach mit dem ironischen Satz, er wolle die Athener daran hindern, sich ein zweites Mal an der Philosophie zu versündigen.

Im Exil stirbt er kurz darauf mit 63 Jahren, aber in seinem ausführlichen und fürsorglichen Testament bedenkt er auch die Sklaven und seine Konkubine.

Seine Philosophie basiert auf der Platons und der des Sokrates. Wie seine Vorgänger fragt er nach dem Wesen der Dinge, worauf die Wirklichkeit aufgebaut ist. Er fragt nach dem Menschen, wie er denkt und handelt und wie er denken und handeln soll; er fragt woraus die Wirklichkeit besteht und auf die Welt zugeht. Die Gestirne untersucht er, die Dichtkunst, die Staatsverfassung, die Rhetorik und die Natur mit den Tieren und deren Verhaltensweisen. Sein Wissen und Denken ist umfangreich, doch bleibt es nicht bei bloßer Vielwisserei, alles in allem ist er Philosoph und drängt danach zum Wesen der Welt vorzuwstoßen, worin alles Wirkliche gründet, woraus es entspringt und worauf es zugeht.

Sein Werk ist gigantisch: Antike Gelehrte sprechen von 400 Bänden, andere gar von 1000, einer spricht von 445 270 Zeilen, die Aristoteles geschrieben haben soll. Damit wird er zum Begründer der abendländischen Wissenschaft.

Auch wenn im Resultat das Meiste veraltet ist, so trägt er mit ungeheurer Sorgfalt zusammen, was man über Tiere weiß, woraus sie bestehen, wie sie sich fortpflanzen, welche Krankheiten sie befallen können, und so weiter. Die Feststellungen von ihm und seinen Schülern sind oft kurios. Sie glauben, es gäbe Arten, die in einer Art Urzeugung aus Sand und Schlamm entstünden, dass Mäuse durch das Lecken von Salz trächtig würden; das Gehirn des Menschen sei nur ein nebensächliches Organ, weil das geistige im Menschen im Herzen sitze, das Gehirn sei nur eine Art Kühlapparat für das Blut, denn “es mäßigt die Wärme und das Aufwallen des Herzens”.

Dabei begreift er aber, dass das Leben nicht nur eine Anhäufung von Einzelteilen ist, sondern ein “Organismus”, ein Ganzes, der den einzelnen Teilen erst den Sinn verleiht.

Nun aber fragt er, was der Zweck ist dieses Organismus, welches Ziel verfolgt er. Seine Antwort: Alles strebt danach, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verwirklichen. Jedes Lebewesen, jeder Organismus trägt seinen Zweck in sich selber, er wird also nicht von außen an das Wesen herangetragen, sondern alles entfaltet sich seiner eigenen Bestimmung gemäß. Eine Blume erhält ihre Bestimmung nicht erst durch die Biene oder umgekehrt, weil die Blume sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten vervollkommnen möchte, kann die Biene dies auch.

Dies überträgt er auf die Betrachtung der ganzen Welt: Alles was ist, strebt danach sich in der Fülle seiner Möglichkeiten zu entfalten, die Welt drängt zur Vollkommenheit. Die Natur selbst ist nichts weiter, als ein einziger Drang zur Selbstverwirklichung.

Nun greift Aristoteles die Frage auf, die die antike Welt beschäftigte, nämlich wie denn der Mensch denken und handeln solle, im privaten, wie im Staate. Auch hier lautet seine Antwort, der Mensch strebt zur Selbstverwirklichung; auch er strebt nach dem, was gut für ihn ist, worin er seine Glückseligkeit erblickt. Doch was ist wahrhaft gut für den Menschen? Aristoteles meint, der Mensch solle so sehr wie möglich zur Vollendung bringen, was er von natur aus ist, der Mensch muss wahrhaft zum Menschen werden. Die Leitlinie des Humanismus nimmt er vorweg, der sagt: ”Werde, was du bist !”

Der Fehler seiner Ethik besteht sicher noch darin, dass er annimmt der Mensch sei von natur aus gut, und er müsse nur seiner Aufgabe nachkommen, die ursprüngliche Güte seines Wesens zu verwirklichen. In seiner Zeit waren die Menschen noch der Auffassung, es stehe im Grunde richtig um sie, erst mit dem Ende der Antike und dem aufkommenden Mittelalter wird ein tiefes Gefühl der Verlorenheit über die Menschheit hereinbrechen.

Aristoteles will aber auch nicht die Antwort schuldig bleiben, was denn der Mensch von natur aus ist. Er vergleicht ihn mit seinen Unterschieden zum Tier, und kommt zu dem Ergebnis, der Mensch besitzt Geist, Vernunft, er besitzt den “Logos”. Dies ist, was der Mensch werden soll, das vernünftige Lebewesen. Im Logos erkennt er das wahre Wesen des Menschen, ihn erforscht er unablässig sein Leben lang, denn wenn der Mensch den Logos, sein eigenstes Wesen, in rechter Weise verwirklichen soll, dann kommt es darauf an, über diesen Logos bescheid zu wissen. Auch wenn er mit dieser Erkenntnis zum Urvater der Logik wurde, so verstand er und seine Zeitgenossen unter Logos noch etwas anderes, als wir heute mit Logik beschreiben. Der Logos ist für die Griechen die Fähigkeit, die Dinge zu erkennen und die Welt zu verstehen. Ein Tier erkennt nicht den Unterschied zwischen einem Stein und einem Stück Metall, es ist beides hart und beides kalt, erst der Mensch mit seinem Logos erkennt einen Unterschied, ist fähig zur Erkenntnis. Es ist seine Bestimmung die Welt zu erkennen. Nicht die Weltbeherrschung, wie im neuzeitlichen Denken, ist die Aufgabe des Menschen für Aristoteles, sondern lediglich Welterkenntnis, ist für die Griechen allgemein, der Sinn der menschlichen Existenz.

Daher ist die höchste aller menschlichen Lebensarten, die des erkennenden, nicht aber des handelnden Menschen ! Und wenn die Gegenwart noch etwas von der Hochschätzung des reinen Erkennens kennt, dann verdankt sie dies vorzüglich dem Weiterwirken des aristotelischem Gedankens ! Der Vorrang des Erkennens macht sich aber auch auf dem Gebiet des Handelns selbst bemerkbar, denn auch hier kommt es der Vernunft zu die Herrschaft auszuüben. Sittlich ist nur ein Handeln, welches sich nicht blind von Leidenschaften leiten lässt, sondern indem der Mensch besonnen durch Vernunft sein Dasein gestaltet. Dies allein bietet die Gewähr, dass der Mensch sich nicht selber zerstört!

- Ob Aristoteles schon vom Treibhauseffekt wusste? Wohl kaum, aber seine Gedanken erscheinen mir aktueller denn je.

Auch Aristoteles fragt nach dem Ursprung der Dinge, er fragt worin die Bewegtheit der Welt gründet, was sie also angeworfen hat. Wenn die ganze Welt nach Vollkommenheit strebt, sie sich ständig in diese Richtung bewegt, was war das erste Bewegte Teil, das die Welt in Bewegung gesetzt hat? Die Welt meint er würde in einem ersten Bewegten gründen, was aber seinerseits nicht bewegt ist, sonst müsse man ja fragen, wovon es bewegt wurde. Für ihn ist es eben dieser Zustand, dem alles entgegenstrebt, der Logos, die reine Vernunft, der Gott. Natürlich konnte er noch nicht den Gott des Christentums damit gemeint haben, weil er nicht den Schöpfer meint, der von außen die Welt in Gang gebracht hat, sondern er meinte die göttliche Kraft, die alles durchwaltet und zu ihrer vollkommensten Form streben lässt.

Weil es noch einen Unterschied zum christlichen Gottesbegriff gab, nannte Luther den Aristoteles einen “Fabeldichter” und einen “ranzigen Philosophen”, doch die Philosophen des Mittelalters haben sich oft auf ihn berufen und nannten ihn sogar gelegentlich den “Wegbereiter Christi im Felde des Natürlichen”.

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