Dienstag, 20. Mai 2008

Platon

Die Philosophie der Liebe

Wenn Philosophen, wie Sokrates, sich ein Leben lang mit den menschlichsten aller Fragen beschäftigen, so mag es nahe liegen, dass sie auch nach dem fragen, was die wahre Natur der Liebe ist.

Im antiken Griechenland bis in die Gegenwart ist der Begriff “Liebe” nur schwer zu trennen mit dem Begriff “Erotik” , der auch seinen Ursprung im antiken Griechenland hat: Der griechische Gott “Eros” nämlich war zuständig für Wein, Weib und Gesang, und so mag es nicht verwundern, dass er der Namensgeber für unsere prickelnden, fortschrittlichen Gelüste ist. Die Erotik im antiken Griechenland jedoch war geprägt von einer Art von Liebe, die bei uns heute nicht ohne Strafrechtliche Verfolgung ablaufen würde, oder zumindest gesellschaftliche Missachtung hervorriefe: Die Knabenliebe, die Liebschaft eines älteren Mannes, mit einem jüngeren, war in Griechenland damals nicht nur toleriert, sondern eine ständig praktizierte Sitte. Diese Tatsache heute noch nachvollziehen zu können, fällt sicherlich schwer, weil die Vorstellung allein für uns heute doch wenig erotisch ist, und wohl eher Ekel erregt. Damals jedoch gehörte es zum guten Ton, dass sich ein gut situierter älterer Mann mit Knaben einließ, die er nicht unbedingt mit Gewallt fügsam machen musste, da es vor allem die Knaben waren, die sich bei wohlhabenden Männern eine gute Partie erhofften.

Die Frauen im antiken Griechenland hatten auch nicht gerade viel zu lachen. Sowieso waren Frauen nur an der Seite eines Ehemannes zu sozialem Aufstieg fähig. Allein zu Wohlstand, Ansehen und Macht zu gelangen war kaum möglich. Deswegen erscheint es auch nicht verwunderlich, dass Frauen damals zu frustrierten Giftspritzen wurden, die ihr persönliches Glück mit Hilfe von Intrigen und Gerüchten versuchten. Das Frauenbild der Antike gibt wohl Platon(427-347v.Chr.) am Besten wieder, der behauptet, die Frauen stünden an Tugend weit hinter den Männern zurück und sie seien, als das schwächere Geschlecht, auch weit hinterhältiger und verschlagener als jene. Er nennt sie oberflächlich, leicht zu erregen und leicht zu erbittern, zu Schimpfreden neigend, dabei zaghaft und abergläubisch. Er meint, eine Frau zu sein, sei ein Fluch der Götter, den jene Männer trifft, die sich im Leben nicht zu beherrschen wussten und feige und ungerecht waren. Als Strafe dafür würden sie dann als Weiber wiedergeboren.

Zwar konnten Frauen auch Priesterinnen werden, aber nur im legendären Geheimbund der Pythagoräer, waren sie auch den Männern gleichgestellt.

In einer Zeit, in der nur Männer das Sagen hatten und in der es keine wirkungsvollen Verhütungsmittel gab, verwundert es kaum, dass dann schöne Jünglinge zum Objekt der Begierde wurden. Nur so konnte sich ein reicher, geiler Bock einem schönen Leib hingeben, ohne dabei einen Nachkommen zu zeugen, der dann irgendwann, irgendwelche Ansprüche erhebt oder einem ewig auf der Tasche liegt. Also eigentlich war es auch nicht viel anders als heute, nur konnte man zur Not noch auf Sklavinnen zurückgreifen.

Anders war da mal wieder unser verehrter Sokrates. Auch wenn uns Platon von ihm berichtet, er sei in zwei Dinge verliebt gewesen, in seinen jungen Schüler Alkibiades und in die Philosophie, auch wenn er meint Sokrates habe unentwegt die Nähe von schönen Knaben gesucht, so berichtet eben dieser Platon auch, wie dieser geniale Schüler des Sokrates, Alkibiades, vergeblich versucht habe seinen Lehrmeister zu verführen.

“(…) Denn bei den Göttern und den Göttinnen, ihr müsst wissen: Nachdem ich neben Sokrates geschlafen hatte, stand ich nicht anders auf, als wenn ich neben meinem Vater oder meinem älteren Bruder geschlafen hätte.” Zitat: Platon, in seinem Dialog “Symposion”

Es liegt nahe anzunehmen, die Jünglinge waren es, die die Nähe des Sokrates suchten, schließlich wurde er ja auch wegen der Verführung der Jugend angeklagt und zum Tode verurteilt. Einen echten Beleg für Sokrates Unzucht mit Knaben kenne ich nicht. Die Treue zu seiner Frau ist belegt, eben jener Xanthippe, die von Sokrates Freunden als das unerträglichste Weib, das “je gelebt hat und je leben werde“, beschrieben wurde. Über das Heiraten hätte er wahrscheinlich auch nur geantwortet: “Was du auch tust, du wirst es bereuen.”

Weil Athens Einwohner nach einem verlorenen Krieg dezimiert wurden, soll jeder nach dem Gesetz mit zwei Ehefrauen Kinder zeugen dürfen, weshalb sich Sokrates die schöne Myrto nahm, was aber eher unwahrscheinlich ist und daher eher in den Bereich der Legenden fällt, weil es keine Beweise gibt für diese Heirat.

Platons Vorstellungen von der Ehe sind nicht gerade auf echter Zuneigung aufgebaut: Sie dient nach seiner Ansicht einzig dem Zweck, wohlgeratenen Nachwuchs zu zeugen und aufzuziehen. Der Staat soll die geeigneten Partner zusammenführen; die Frauen werden den Männern für ihre Tapferkeit im Krieg als Lohn zugewiesen, oder werden als gemeinsamer Besitz der Männer betrachtet. Es scheint verwunderlich, wie ein Typ mit solch einem Frauenbild der Namensgeber der platonischen Liebe werden konnte, die weniger die sinnliche Liebe meint, sondern den Respekt der sich liebenden Partner zueinander betont. Platons Philosophie basiert auf der des Sokrates, unter dessen Eindruck Platon überhaupt erst zur Philosophie kam. Er versteht die Philosophie selbst als eine Weise des Eros, als vom Wesen her Liebe, ja im Namen dieser Geisteswissenschaft birgt die Anfangssilbe “Philo” den altgriechischen Begriff für Liebe. Doch der philosophische Eros, die philosophische Art der Liebe, ist für Platon nicht die sinnliche Liebe, die erotische Liebe ist nur der Ausgangspunkt, für einen Aufschwung, der zu etwas höherem hinauf führt. Für diesen Aufschwung ist es notwendig, dass man nicht in der sinnlichen Liebe verharrt, oder gar in dieser ausschweift, sondern sie muss überwunden werden, nämlich in etwas höheres hinein. Diesen Aufschwung schildert Platon in seinem “Symposion” über Sokrates, der bei der Seherin Diotima, aus Mantinea, erfahren habe, was das wahre Wesen des Eros sei:

Nämlich die Sehnsucht nach dem Schönen, oder das Verlangen im Schönen zu zeugen (und zu erzeugen). Dies, so meint Diotima, sei das eigentliche ewige im Menschen (seine unsterbliche Seele). Wer das Schöne haben möchte, der will es für immer besitzen, nicht nur für einen kurzen, vergänglichen Augenblick. Darum gehört es zur Liebe, das der/die Liebende nach Dauer, nach Unsterblichkeit trachte. Alle Menschen wollen das ewige, unsterbliche Schöne, keine vergängliche Kopie der Schönheit, sondern das Schöne, das niemals vergeht.

Diotima unterscheidet nun zwischen denen, die körperlich zeugen können, denen die dem “Leibe” nach zeugungsfähig sind und jenen die der “Seele” nach erzeugen können, die geistig erschaffen. Die körperlich zeugenden wenden sich den Frauen zu und zeugen Kinder, mit deren Hilfe sie ihre Begierde nach Unsterblichkeit befriedigen, weil ihre Kinder ihr Andenken in die Zukunft weiter tragen. Wenn einer aber von Jugend an der Seele nach zeugungsfähig ist, so sehnt er sich nach dem Schönen, indem er erschaffen kann, denn im Hässlichen will er niemals erzeugen. Zu schönen Leibern fühlt er sich dann eher hingezogen, als zu den hässlichen, und wenn er darin auch noch eine schöne, wohlgeratene Seele antrifft, dann fühlt er sich zu beidem gänzlich hingezogen. Diesem Menschen gegenüber findet er sogleich eine Fülle von Worten, wie ein guter Mensch zu sein hat und beginnt diese Person zu erziehen. Er versucht dem Schönen so nahe wie möglich zu kommen, dem was ihm schon zu Beginn vorschwebte. Nur daran denkt er, nur davon wird er angetrieben, und gemeinsam versuchen sie ihre erzeugte Schönheit aufzuziehen, damit sie noch schöner wird.

Jetzt erst aber kommt Platon auf das eigentliche philosophische Geheimnis des Eros zu sprechen, denn er lässt Diotima folgendes sagen:

“Soweit kannst vielleicht auch du, Sokrates, in die Mysterien der Liebe eingeweiht werden. Ob du aber zu den höchsten Feiern und Weihen fähig bist, derentwegen all jenes andere geschieht, wenn man es richtig darstellt, das weiß ich nicht. Ich nun will es dir sagen, und ich werde es an Bereitwilligkeit nicht fehlen lassen; du aber versuche zu folgen, wenn du dazu im Stande bist. Wer in der rechten Weise darauf zugeht, der muss in der Jugend damit beginnen, sich den schönen Leibern zuzuwenden. Zunächst muss er, wenn er richtig geführt wird, einen einzigen Leib lieben und da schöne Worte zeugen. Sodann muss er bemerken, dass die Schönheit irgend eines Leibes der eines anderen Leibes entspricht; dass es ferner, wenn man verfolgen soll, was dem Wesen nach schön ist, von großem Unverstand zeugen würde, wenn man nicht die Schönheit in allen Leibern für ein und die selbe hielte. Wenn er das begriffen hat, wird er sich Liebhaber aller schönen Leiber zeigen, und er wird es verachten und gering davon denken, einem einzigen allzu sehr nachzugeben. Darauf wird er die Schönheit in den Seelen für wertvoller halten als die im Leibe. Wenn einer an seiner Seele tüchtig ist, aber nur wenig jugendliche Schönheit besitzt, wird ihm das genug sein. Er wird ihn lieben, wird sich seiner annehmen und wird solche Worte zeugen, die die Jünglinge besser machen. Dadurch wird er gezwungen, auf das Schöne in den Lebenshaltungen und in den Gesetzen zu achten und zu sehen, dass all dies miteinander verwandt ist, so dass er das Schöne, das dem Leibe zukommt, gering achtet. Nach den Lebenshaltungen muss er sich zu den Erkenntnissen begeben, um wiederum deren Schönheit zu erblicken. Indem er nunmehr das Schöne in seiner Vielfalt anschaut, wird er nicht nur einem einzigen dienen… Er wird sich vielmehr auf das weite Meer des Schönen begeben und im Anschauen viele schöne und großartige Worte und Gedanken gebären, in neidloser Liebe zur Weißheit, bis er dann gekräftigt und erwachsen jene einzige Erkenntnis erblickt, die auf die Schönheit als solches geht. (…)Nunmehr in den Dingen der Liebe zum Ziel gelangt, wird er plötzlich etwas wunderbares und seiner Natur nach Schönes erblicken: eben jenes, Sokrates, um dessentwillen auch alle früheren Anstrengungen gemacht wurden. Es ist zum ersten immer seiend, weder entstehend noch vergehend, weder wachsend noch abnehmend; sodann ist es nicht bald schön, bald hässlich. (…) Es ist vielmehr in einer Weise immer seiend, dass es selber eines einzigen Wesens ist. Alles andere Schöne hat an ihm in gewisser Weise teil. (…) Wenn also einer durch die rechte Liebe von all jenem Geschilderten aus aufsteigt, beginnt er jenes Schöne zu erblicken und rührt damit beinahe an das Ziel. Denn das heißt auf rechte Weise auf die Dinge der Liebe zugehen oder von einem anderen dahin geführt werden, dass man von jenem einzelnen Schönen ausgehend des Schönen selber wegen immerzu gleichsam auf Stufen aufzusteigen beginnt: Von einem schönen Leib zu zweien und von zweien zu allen, von den schönen Leibern zu den schönen Lebenshaltungen, von den Lebenshaltungen zu den schönen Erkenntnissen, von den Erkenntnissen schließlich zu jener Erkenntnis, die sich auf nichts anderes bezieht als auf das Schöne selber. (…) Hier, wenn irgendwo ist das Leben für den Menschen Lebenswert; denn er schaut nun das Schöne selber.”

Platons platonische Liebe ist nicht das einfache unterdrücken der sinnlichen Begierde, sie überschwingt sie in eine höhere Form des Verlangens hinein: Über die Schönheit der Leiber, über die der Seelen, der Lebensführungen und der Erkenntnis, drängt sie eben zu allem was schön ist, zum Wesen oder zu der Natur der Schönheit selbst. Der Eros wie Platon ihn versteht, ist das Streben nach dem Urbild des Schönen, nach der perfekten Vorstellung, wie wahrhaftige Schönheit sein müsste. Diese “Idee” des Schönen ist das, wonach alle Menschen streben, der Grund für alle Errungenschaften und Anstrengungen. Jeder weiß also von Natur aus, was wirklich schön ist, er muss es nicht erst erlernen. So trägt jeder Mensch in seiner Seele ein Urbild dessen, was wahrhaftig Schön ist, so wie er ein Urbild dessen in sich trägt, was wahrhaftig Gerecht ist, was Tugendhaft ist, was Fromm ist, was Sittlich ist und all diese Dinge, die das rechte Verhalten des Menschen ausmachen, und diese Urbilder können und sollen sein Handeln bestimmen. Platon meint weiter, dass wir nur durch diese Urbilder beurteilen können, ob etwas schön oder hässlich ist, etwas gerecht oder gemein, und dass sich diese Urbilder nicht nur auf das menschliche Handeln beziehen, auch was ein Baum ist wissen wir nur, weil wir ein Urbild eines Baumes in unseren Seelen tragen, was eine Wolke, was ein Stein, was Metall und was flüssig ist. Nur durch diese Urbilder kann der Mensch sagen, dies ist eine Pflanze, dies ein Tier; dies eine gute Tat, dies ein Verbrechen. Alles was existiert trachtet danach seinem Urbild immer ähnlicher zu werden, sodass die Welt einen unablässigen Drang zur Vollkommenheit nachgeht, ihrem Eros zur Idee. Diese Idee der Realität, die Vorstellung in uns, wie die Welt perfekt wäre, ist für Platon eben die höchste Erkenntnis, die wahre Natur der Liebe. Wir alle tragen also “Urbilder” einer vollkommenen Welt in unserer Seele.

Wenn aber alles Werdende und Vergehende nur einem Ideal nacheifert, dann, so schließt Platon, ist das eigentliche Reale gar nicht diese Dinge, sondern ihre Urbilder, denn alles was wird, vergeht auch wieder, aber die Urbilder bleiben. Die Dinge sind nur fehlerhafte Abbilder dieser perfekten Idee. Diotima sagte, die wahre Schönheit, das Urbild der Schönheit sei “immerseient, weder werdend noch vergehend, weder wachsend noch abnehmend.” Die Urbilder, das Urwirkliche ist daher unvergänglich. Weil aber alles Seiende ihm entgegeneifert, strebt das Vergängliche nach dem Ewigen, das ist nach Platon das Geheimnis der Wirklichkeit. Diese Urbilder dessen, was der Mensch wahrnimmt, hat er sich aber nicht selber ausgedacht, hat sie auch nicht durch Erfahrung erworben, sondern hat sie erlangt, bevor er das zeitliche Dasein fristete. Die Erkenntnis also darüber, was ein Baum ist, eine Wolke oder Gerechtigkeit und Schönheit, erlangte die menschliche Seele, bevor sie das Licht der Welt erblickte. Erkennen ist also wieder erinnern, die Seele muss vor ihrer irdischen Existenz schon existiert haben, wo sie die Urbilder dessen aufschnappte, was sie wieder erkennt. Somit muss der Mensch eine unsterbliche Seele besitzen.

In seinem Dialog “Phaidros” erzählt Platon, wie die menschlichen Seelen zu diesen Urbildern gelangten. Zeus der Göttervater fährt mit einem geflügelten Pferdewaagen, in einer Zeit vor der menschlichen Existenz, oberhalb des Himmelsgewölbes herum, hinter ihm ein Schweif aus Göttern, Dämonen und schließlich die Seelen der Menschen. Bei jeder Wendung des Wagens, schweifen die Seelen dann herum und gelangen außerhalb des Himmelsgewölbes, wo sie einen flüchtigen Blick auf das wahrhaft Seiende erfahren. Von dieser Schau her, die dem Menschen vor seiner Existenz gewährt wurde, bleibt ihm in seinem irdischen Dasein eine Sehnsucht. Er strebt zurück zu seinem Ursprung, aus dem er abstammt. Deshalb sehnt er sich schon in seinem irdischen Leben, nach dem wahrhaft Schönen, welches er wieder sehen möchte.

“Wenn einer die Schönheit hier sieht und sich dabei an das Wahre erinnert, wird er mit Flügeln versehen, und so geflügelt sehnt er sich danach, sich hinauf zu schwingen. Das aber vermag er nicht. Darum blickt er nun wie ein Vogel nach oben und vernachlässigt, was unten ist. Dann beschuldigt man ihn, er sei wahnsinnig. Das aber ist der beste aller Enthusiasmen.(…) Nur wenigen bleibt eine ausreichende Erinnerung. Wenn diese aber etwas erblicken, was dem ähnlich ist, was sie dort gesehen haben, geraten sie außer sich und sind nicht mehr ihrer selbst mächtig.”

Dieser Enthusiasmus ist für Platon der Weg auf dem man wieder zum reinen Anschauen der wesenhaften Dinge gelangen kann, der Weg der Philosophie, auf dem der Mensch in der Lage ist, die Urbilder des Seienden wieder zu erkennen. Die Philosophie sei ein Geschenk der Götter. Indem sie ihn hinaus reist aus seinem alltäglichen Dasein, und ihn hinaufbringt zu den Urbildern, gleicht sie zwar dem Wahnsinn, diese Art von Wahnsinn sei aber herrlicher, als jede Besonnenheit, denn sie ist vom Wesen her erotisch. Philosophie bedeutet übersetzt: “Liebe zur Weißheit”. Da die Weißheit zu den schönsten Dingen gehört, muss der Gott Eros selber auch ein Philosoph sein, argumentiert Platon.

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