Dienstag, 20. Mai 2008

Sokrates

Gefährliche Fragen

Sokrates(469-399v.Chr.), der unter den Philosophen zweifellos berühmt ist, hatte eine Frau, oder sollte man besser Weib sagen, die unter den Frauen der Philosophen sicher die Berühmteste ist. Xanthippe hat es zu zweifelhaftem Ruhm gebracht. Sie bietet alles auf, um ihren Gatten nicht zum Philosophieren kommen zu lassen, denn er ist ein echter Müßiggänger. Er geht auf Märkte und Sportplätze, und schwatzt mit jedem, der ihm über den Weg läuft. Statt den gelernten Beruf des Steinmetzes auszuüben, statt sich um das Haus, die Frau und die Söhne zu sorgen, geht er lieber philosophieren. Das ist es, was Xanthippe wurmt. Nicht einmal das Geld für ein paar Schuhe soll er gehabt haben. “Wie zahlreich sind doch die Dinge derer ich nicht bedarf.” / “Wer am wenigsten bedarf, ist den Göttern am nächsten.” (Zitate Sokrates)

Die arme Xanthippe macht ihm zu Hause die Hölle heiß und schafft, dass ihm das Heim so ungemütlich gemacht wird, wie es nur geht. Doch erreicht sie damit nur das genaue Gegenteil, nämlich dass sich Sokrates nur um so öfter aus dem Staub macht, um mit seinen Freunden zu philosophieren. So aber hat sie auch zu dem beigetragen, was aus ihrem Mann geworden ist, denn hätte er sich in einem Arbeitszimmer vergraben, wäre er sicher nicht der Sokrates geworden, der er wohl war. Gelegentlich schüttet sie ihm aus dem Fenster einen Eimer schmutzigen Wassers über den Kopf, oder sie läuft ihm nach und reißt ihm auf dem öffentlichen Markt die Kleider vom Leibe. Er meinte, der Umgang mit einem solch widerspenstigen Weibe, habe auch sein Gutes, denn wer mit ihr fertig werde, der kann es mit jedem. Als ihn der Wasserguss von oben traf, soll er gesagt haben:

“Sagte ich nicht, dass Xanthippe, wenn sie donnert auch Regen spende?”

Sein genialer Schüler Alkibiades fand: “Die keifende Xanthippe ist unausstehlich!”

Aber Sokrates entgegnete: “Auch du lässt dir doch das Geschrei der Gänse gefallen.”

Nietzsche bemerkte mit seinem psychologischen Spürsinn später: “Sokrates fand eine Frau, wie er sie brauchte… Tatsächlich trieb ihn Xanthippe in seinen eigentümlichen Beruf immer mehr hinein, indem sie ihm Haus und Heim unhäuslich und unheimlich machte.” Man darf nicht vergessen, dass Sokrates ein Athener war, und in Athen, der Stadt mit der großen Lust am öffentlichen Leben, gilt nur, wer selber in die Öffentlichkeit tritt.

Er war aber keineswegs ein schlaffer Nichtstuer. Von “vortrefflicher körperlicher Gesundheit” soll er gewesen sein, wie es ein Zeitzeuge berichtet. Er tanzte, trieb eifrig Gymnastik, um gesund zu bleiben. Als einfacher Soldat, habe er sich auch an mehreren Feldzügen beteiligt, und dort seine Härte im Ertragen von Strapazen bewiesen. Als sich andere vor Kälte vermummten, ging er barfuß über das Eis. Und als alle sich in wilder Flucht davon machten, schritt er gelassen neben seinem General, “ruhig schauend, nach Freund und Feind”, wird berichtet.

Wenigstens in den Augen Xanthippes ist er ein Herumtreiber, Schwätzer und ewiger Diskutierer. Kaum das er jemanden auf der Straße sieht, geht er auf ihn zu und fängt sogleich ein Gespräch mit ihm an, egal ob derjenige ein Staatsmann, ein Schuster, ein General oder ein Eselstreiber ist.

Er meint, was er zu sagen hat, gehe jeden etwas an, weil es ihm auf das rechte Denken ankommt, dass man versteht was man sagt, und dass man über sich selber Rechenschaft ablegt. Wie er mit andren redet schildert der angesehene Feldherr Nikias in einem Bericht Platons: “Du scheinst mir nicht zu wissen, was geschieht, wenn jemand dem Sokrates ganz nahe ist und sich mit ihm auf ein Gespräch einlässt; auch wenn er sich zunächst über etwas anderes unterhält, wird er notgedrungen und unaufhörlich von jenem durch Reden umhergeführt, bis er dahin geraten ist, dass er sich selber Rechenschaft darüber gibt, wie er jetzt lebt und wie er sein bisheriges Leben gelebt hat.” Wer sich mit ihm in ein Gespräch einlässt ist rasch verloren, denn Sokrates versteht es mit Ironie und dialektischem Geschick, seinem Gesprächspartner erkenntlich zu machen, dass er im Grunde nichts von dem versteht, worüber dieser so selbstsicher daherredet, und dass er am wenigsten sich selber versteht. Dies ist seinen Opfern selten angenehm, und so wird berichtet, dass er oft von den Athenern verächtlich behandelt, verlacht und gelegentlich unsanft angefasst wurde. Nur ein paar adelige Müßiggänger halten zu ihm und begleiten ihn auf seinen Streifzügen durch die Stadt. Die ehrbaren Bürger aber, wollen mit ihm nichts zu tun haben.

Was sie aber nicht erkennen, und auch die Dichter seiner Zeit nicht sehen, die ihn einen

“Weltverbessernden Schwätzer” nennen und einen “Erfinder Spitzfindiger Rede” , ist, dass es ihm nicht darum geht im Streit der Argumente recht zu behalten. Vielmehr ist er ständig auf der Suche nach der Wahrheit, von der Suche nach ihr ist er besessen.

Vor seinem Tod sagte er zu einem Freund: “Ganz und gar nicht haben wir zu bedenken, was die vielen über uns sagen, sondern das, was der sagt, der sich auf das Gerechte und das Ungerechte versteht: der Eine und die Wahrheit selbst.” Er will herausfinden, wie es in Wahrheit mit dem Menschen und seinem künftigen Schicksal bestellt ist, denn er meint, davon hänge alles ab. Xenophon, ein schreibender Feldherr berichtet:

“Er unterhielt sich stets über die menschlichen Dinge und untersuchte, was fromm war und was gottlos, was schön war und was schimpflich, was gerecht und was ungerecht, was Besonnen und was Wahnsinn, was Tapferkeit und was Feigheit, was ein Staat und was ein Staatsmann, was Herrschaft über Menschen und was ein Herrscher über Menschen; er fragte auch nach allem anderen, wovon er glaubte, dass diejenigen, die es wissen, recht und gut seien.”

Er wollte mit seiner lästigen Fragerei die Menschen dazu bringen, zu verstehen, wie sie sich verhalten sollen, um wahrhaft menschlich zu sein. Rechtes Denken soll zu rechtem Handeln führen, den er sieht mit Schrecken den Verfall im Leben der Griechen, sieht die Ratlosigkeit in der Krisis, in die sich der griechische Geist seiner Zeit verstrickt. Dies ist, was er seinen Schülern und Freunden näher bringt. Platon schreibt später unter dem Eindruck des Sokrates: “Unser Staat wurde nicht mehr gemäß den Sitten und Einrichtungen der Väter verwaltet… Alle jetzigen Staaten insgesamt werden schlecht regiert; denn der Bereich der Gesetze befindet sich in einem fast unheilbaren Zustand.”

Deshalb verlangt Sokrates, wieder ehrlich zu fragen, weil dies bedeutet, auch den Mut zu haben die bitterste Wahrheit anzuerkennen. Er verlangt die Einsichten in die Not der Zeit, das Wissen, um die wahren Erfordernisse des Menschseins. Deshalb liebten ihn seine Schüler auch so sehr, aber deshalb viel er auch bei den Mächtigen seiner Zeit in Ungnade. Einstein sagte einmal, man dürfe niemals aufhören zu fragen!

Das Problem dabei war, dass Sokrates auch seinen Schülern, die ihn so sehr verehrten, keine Antworten geben konnte, auf die Fragen, die sie bewegten. Im Gegenteil, wenn man ihn fragte nach dem Gerechten und dem Guten, so gab er seine Unwissenheit sogar ausdrücklich vor dem Athener Gericht zu:

“Im Weggehen überlegte ich bei mir selber, dass ich wissender sei als jener Mensch. Denn keiner von uns beiden scheint etwas Gutes und Rechtes zu wissen; jener aber meint zu wissen und weiß doch nicht; ich jedoch, der ich nicht weiß, glaube auch nicht zu wissen; ich scheine somit um ein Geringes wissender zu sein als er, weil ich nicht meine zu wissen, was ich nicht weiß.”

Mit diesem Mut besiegelt er sein Schicksal, denn wer alles so sicher geglaubte fragwürdig macht, und selber keine Antworten gibt, ist nichts weiter als ein Scharlatan, der zersetzt mit seinen Fragen die ohnehin schon gefährdete Religion und untergräbt die Autorität der Obrigkeit.

Weil er zudem einen großen Schwarm junger Menschen um sich versammelt, kommt es dazu, dass sich die Athener dieses unliebsamen Mitbürgers entledigen wollen und sie machen ihm den Prozess. Die Anklage lautet, Gottlosigkeit und Verführung der Jugend.

Aber im Ernst: Ordnung muss sein, wer so radikal fragt, und selber doch nichts positives von sich gibt, der muss sich nicht wundern, wenn er am Ende mächtige Feinde gegen sich sieht. Doch bedeutet philosophieren nicht Infragestellen, dessen was man zu wissen glaubt? Natürlich bedeutet dies auch, dass das Bestehende fragwürdig gemacht wird! Die Anhänger des Bestehenden werden auch alles daran setzen, das Fragen des Philosophen zum Verstummen zu kriegen, aber wenn das Bestehende schon so weit unterhöhlt ist, wie zur Zeit des Sokrates, dann hilft es auch nicht sich vor dem Neuen zu verschließen, dann hilft nur der Mut dem Neuen den Boden zu bereiten. Dieser fehlende Mut zur radikalen Wahrhaftigkeit ist die geschichtliche Schuld der Athener, die es dem Sokrates verweigerten, der Zukunft den Weg zu bereiten.

Er jedoch verzichtet auf alle Versuche die Richter milde zu stimmen, er reizt sie sogar noch in seiner berühmten Athener Rede:

“Solange ich noch atme und dazu imstande bin, werde ich nicht aufhören zu philosophieren, euch ermahnend und entlarvend, wem immer unter euch ich begegne, und ich werde reden, wie ich es gewohnt bin: >Bester Mann, der du Athener bist, aus der größten und an Weißheit und Macht angesehenen Stadt, du schämst dich nicht, dich um möglichst viel Geld, Ruhm und Ehre zu sorgen, aber um Einsicht, Wahrheit und darum, dass die Seele so gut wie möglich werde, sorgst du dich nicht?< (…) Es ist das größte Gut für den Menschen, jeden Tag von Tugend zu sprechen und von all dem andern, worüber ihr mich reden hört, wenn ich im Gespräch mich und die andern prüfe; ein Leben ohne Prüfung aber ist für den Menschen nicht lebenswert! (…) Ich glaube, dass euch in eurer Stadt kein größeres Gut zuteil geworden ist als mein Dienst an dem Gotte Apollon. Denn was ich tue, ist nichts anderes, als dass ich umhergehe und die Jüngeren, wie die Älteren unter euch ermahne, sich weder um Leib noch Geld eher zu sorgen als um die Seele, dass sie nämlich so gut wie möglich werde… Wenn ihr mich tötet, werdet ihr nicht leicht einen anderen von dieser Art finden, der - mag es auch lächerlich klingen - geradezu der Stadt von dem Gotte beigegeben ist, wie einem großen und edlen Ross, das aber eben seiner Größe wegen eher träge ist und zu seiner Aufmunterung des Sporns bedarf. So, scheint mir, hat mich der Gott der Stadt beigegeben, als einen, der nicht aufhört, jeden einzelnen unter euch aufzuwecken, zu überreden und zu schelten.”

Er fordert zudem statt einer Strafe, zu der Ehre einer Speisung ins Rathaus eingeladen zu werden, der höchsten Auszeichnung für die Athener. So bleibt es nicht aus, dass er zum Tode verurteilt wird.

Man rät ihm zu fliehen, alles ist von seinen Freunden vorbereitet, doch er beschließt zu bleiben und seiner Strafe ins Auge zu sehen. Gesetzwidriges Handeln sei nichtswürdig und schändlich. Es sei nicht recht, ein Leben lang an den Wohltaten des Staates teilzunehmen, um dann, wenn einem die Sache unangenehm werde, den Gesetzen den Gehorsam aufzukündigen.

So bleibt die große Entdeckung des Sokrates, dass im Zerbrechen der Gewissheiten, wie es den Menschen in den Krisen ihrer Geschichte immer und immer wieder widerfahren ist, doch eines Gewiss bleiben muss: “Die unbedingte Verpflichtung zum Rechttun!”

Sie ist es, die unzerstörbar in den Herzen ruht, und um deren Willen er seinem Schicksal nicht entweichen wollte.

“Wo einer sich selber auf einen Posten stellt in der Überzeugung, das sei das Beste, da muss er, wie mir scheint, auf alle Gefahr hin ausharren und weder Tod noch irgend etwas anderes bedenken außer Schande. Ich nun würde seltsam handeln, ihr Männer von Athen, wenn ich da, wo mich -wie ich glaube und annehme, der Gott hingestellt hat, damit ich philosophierend lebe und mich und die andern prüfe, aus Furcht vor dem Tode oder irgend etwas anderem meinen Posten verließe.”

“Nun ist es Zeit wegzugehen: für mich, um zu sterben, für euch, um zu leben. Wer von uns dem besseren Zustand entgegengeht, ist jedem verborgen, außer dem Gott.”

Zeitleiste

Zeitleiste der bedeutenden Philosophen

Name des Philosophen

Jahre von Geburt und Tod

Thales

624 v. Chr. - 546 v. Chr.

Anaximander

610 v. Chr. - 546 v. Chr.

Pythagoras

570 v. Chr. - 510 v. Chr.

Parmenides

Etwa 5. Jhd. v. Chr.

Heraklit

535 v. Chr. - 475 v. Chr.

Sokrates

469 v. Chr. - 399 v. Chr.

Platon

427 v. Chr. - 347 v. Chr.

Aristoteles

384 v. Chr. - 322 v. Chr.

Euklid

365 v. Chr. - 300 v. Chr.

Epikur

341 v. Chr. - 270 v. Chr.

Zenon

333 v. Chr. - 264 v. Chr.

Archimedes

287 v. Chr. - 212 v. Chr.

Mechanicus

Etwa 1. Jhd. n. Chr.

Aristoteles

Der Akademiker

Aristoteles(384-322v.Chr.) wurde in der griechischen Provinz Thrakien geboren, in einer kleinen Stadt namens “Stageira”, in Makedonien. Er stammt aus gut bürgerlichem Hause, sein Vater war Arzt und trug den Titel eines Leibarztes des Königs von Makedonien. Doch statt die Praxis des Vaters zu übernehmen, will er lieber die Provinz verlassen und nach Athen gehen, in die geistige Hauptstadt des antiken Griechenlands. Die Familie lässt ihn ziehen, nicht aber ohne zuvor das Orakel befragt zu haben. Die göttliche Antwort lautet, er solle Philosophie studieren.

Der vermögende Vater stattet ihn tüchtig für sein Studium aus, und so geschieht es, dass er Zeit seines Lebens wert legt auf eine bequeme Lebensführung. Sein Zeitgenosse Diogenes, der dadurch berühmt wurde, dass er statt eines Hauses eine Tonne bewohnt, erscheint ihm wenig vorbildlich; denn zur Glückseligkeit gehöre es auch, dass man ausreichenden Anteil an den Gütern der Welt habe, meinte er.

Ein antiker Gewährsmann berichtete über ihn: “Er war schwach auf den Beinen und kleinäugig” und “stieß beim Sprechen mit der Zunge an”.

Die Philosophie ist zur Zeit des Aristoteles eine umfassende Angelegenheit, zu der im Grunde alles Wissen und alle Wissenschaft gehört. Der große Lehrer dieser Lehre im damaligen Athen ist kein geringerer als Platon, der im heiligen Hain des “Akademos” eine Schar von Schülern um sich versammelt, mit denen er gemeinsam philosophiert.

Mit siebzehn Jahren wird Aristoteles der Schüler des Platon und bleibt dies zwanzig lange Jahre. “Der Leser” soll Platons Spitzname für seinen Schüler gewesen sein, weil er sich mit auffälligem Fleiß den Büchern widmete. Er ist voll von Verehrung für seinen Meister, und diese respektvolle Gesinnung hält ein Leben lang an. Noch in späten Jahren sagt er, dass Platon ein Mann sei, den die Schlechten nicht einmal loben dürften; und mehr noch, Platon sei ein Gott.

So steht die Philosophie des Aristoteles in einer Linie mit der von Sokrates und Platon, jedoch ist es einleuchtend, dass diese genialen Denker auch zu jeweils eigenen Gedanken kamen. Auf die Dauer kam Aristoteles also zu eigenen Schlussfolgerungen, die dem alten Platon widersprachen. “Aristoteles hat gegen mich ausgeschlagen, wie es junge Füllen gegen die eigene Mutter tun.” (Platon)

Doch erst nach dem Tod des Lehrmeisters kommt es zum offenen Konflikt, denn nicht Aristoteles, sondern ein geringerer wird neues Haupt der Akademie. Er ist verstimmt und wandert aus, nach Kleinasien, zu einem Fürsten, der der Philosophie im platonischen Geiste angetan ist.

Doch als dieser von den Persern überfallen wird, verlässt Aristoteles dieses Land und kehrt zurück nach Makedonien. Dort übernimmt er die Erziehung eines Knaben von dreizehn Jahren, ein Junge, der einmal als Alexander der Große in die Geschichte eingehen wird. Heute wissen wir leider so gut wie nichts darüber, welchen Einfluss Aristoteles auf die Entwicklung des großen Feldherrn und Staatsmannes gehabt hat; und doch bleibt es seltsam sich vorzustellen, wie Macht und Geist in ihrer höchsten Ausprägung einige Jahre zusammenlebten.

Diese Aufgabe ist auch nicht ganz ungefährlich für Aristoteles gewesen. Sein Nachfolger als königlicher Erzieher, wurde als Verschwörer verhaftet und den Löwen zum Fraß vorgeworfen, ob zu Recht oder zu Unrecht lässt sich heute wohl kaum noch nachvollziehen. Die antike Klatschsucht nahm dieses Ereignis als Anlass, auch Aristoteles eines versuchten Giftmordes an Alexander zu beschuldigen. Doch auch wenn es wahr gewesen wäre, hätte ihn das nicht mehr zu bekümmern brauchen, weil er längst in die freie Stadt Athen zurückgezogen war.

Hier sammelt er eine Reihe von Schülern um sich, mit denen er sich in einer Säulenhalle trifft, um zu philosophieren. Dabei haben sie die Eigenschaft, während des Diskutierens ständig auf und ab zu schreiten, was die Athener so bemerkenswert finden, dass sie dem Aristoteles und seinen Anhängern den Beinamen “die Herumwandler” geben. Als die “Peripatetiker” ist die Schule des Aristoteles in die Philosophiegeschichte eingegangen, was zwar sehr intelligent klingt, aber nicht mehr bedeutet als “die Herumwandler”.

Seine Schüler berichten merkwürdiges von ihm: Er habe sich vor dem Schlafen einen Schlauch mit heißem Öl auf den Bauch gelegt, was wohl eine Bestätigung der Annahme ist, Aristoteles sei an einer Magenkrankheit gestorben. Noch viel komischer ist aber der Bericht, er habe eine Methode entwickelt, um seinen Schlaf abzukürzen, damit er so schnell wie möglich wieder wach werde und philosophieren kann. Er soll eine harte Kugel in die Hand genommen haben, und neben seinem Bett eine Schüssel gestellt haben. Wenn er dann einschlief, fiel die Kugel herunter in die Schüssel, und hat ihn so wieder aufgeschreckt. In solchen Anekdoten verlieren sich seine Schüler, die von ihrem Meister streng zur Mitarbeit an der eigenen Forschung herangezogen wurden. Auf diese Weise bildet sich zum ersten Mal in der abendländischen Geistesgeschichte eine organisierte Forschergemeinschaft.

Mit dem Tod von Alexander dem Großen ändern sich auch in Athen die politischen Verhältnisse, wer je mit den Makedoniern gehalten hat, wird nun der Kollaboration beschuldigt. Aristoteles offen für politische Vergehen zu beschuldigen ist nicht möglich, weil das Belastungsmaterial nicht ausreicht, und so bezichtigt man ihn der Gottes-lästerung. Wie schon bei Sokrates versuchen sich die Athener mit dieser Anklage einen zu einflussreich gewordenen Denker vom Hals zu schaffen. Doch im Gegensatz zu Sokrates beschließt Aristoteles die Flucht, der Legende nach mit dem ironischen Satz, er wolle die Athener daran hindern, sich ein zweites Mal an der Philosophie zu versündigen.

Im Exil stirbt er kurz darauf mit 63 Jahren, aber in seinem ausführlichen und fürsorglichen Testament bedenkt er auch die Sklaven und seine Konkubine.

Seine Philosophie basiert auf der Platons und der des Sokrates. Wie seine Vorgänger fragt er nach dem Wesen der Dinge, worauf die Wirklichkeit aufgebaut ist. Er fragt nach dem Menschen, wie er denkt und handelt und wie er denken und handeln soll; er fragt woraus die Wirklichkeit besteht und auf die Welt zugeht. Die Gestirne untersucht er, die Dichtkunst, die Staatsverfassung, die Rhetorik und die Natur mit den Tieren und deren Verhaltensweisen. Sein Wissen und Denken ist umfangreich, doch bleibt es nicht bei bloßer Vielwisserei, alles in allem ist er Philosoph und drängt danach zum Wesen der Welt vorzuwstoßen, worin alles Wirkliche gründet, woraus es entspringt und worauf es zugeht.

Sein Werk ist gigantisch: Antike Gelehrte sprechen von 400 Bänden, andere gar von 1000, einer spricht von 445 270 Zeilen, die Aristoteles geschrieben haben soll. Damit wird er zum Begründer der abendländischen Wissenschaft.

Auch wenn im Resultat das Meiste veraltet ist, so trägt er mit ungeheurer Sorgfalt zusammen, was man über Tiere weiß, woraus sie bestehen, wie sie sich fortpflanzen, welche Krankheiten sie befallen können, und so weiter. Die Feststellungen von ihm und seinen Schülern sind oft kurios. Sie glauben, es gäbe Arten, die in einer Art Urzeugung aus Sand und Schlamm entstünden, dass Mäuse durch das Lecken von Salz trächtig würden; das Gehirn des Menschen sei nur ein nebensächliches Organ, weil das geistige im Menschen im Herzen sitze, das Gehirn sei nur eine Art Kühlapparat für das Blut, denn “es mäßigt die Wärme und das Aufwallen des Herzens”.

Dabei begreift er aber, dass das Leben nicht nur eine Anhäufung von Einzelteilen ist, sondern ein “Organismus”, ein Ganzes, der den einzelnen Teilen erst den Sinn verleiht.

Nun aber fragt er, was der Zweck ist dieses Organismus, welches Ziel verfolgt er. Seine Antwort: Alles strebt danach, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verwirklichen. Jedes Lebewesen, jeder Organismus trägt seinen Zweck in sich selber, er wird also nicht von außen an das Wesen herangetragen, sondern alles entfaltet sich seiner eigenen Bestimmung gemäß. Eine Blume erhält ihre Bestimmung nicht erst durch die Biene oder umgekehrt, weil die Blume sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten vervollkommnen möchte, kann die Biene dies auch.

Dies überträgt er auf die Betrachtung der ganzen Welt: Alles was ist, strebt danach sich in der Fülle seiner Möglichkeiten zu entfalten, die Welt drängt zur Vollkommenheit. Die Natur selbst ist nichts weiter, als ein einziger Drang zur Selbstverwirklichung.

Nun greift Aristoteles die Frage auf, die die antike Welt beschäftigte, nämlich wie denn der Mensch denken und handeln solle, im privaten, wie im Staate. Auch hier lautet seine Antwort, der Mensch strebt zur Selbstverwirklichung; auch er strebt nach dem, was gut für ihn ist, worin er seine Glückseligkeit erblickt. Doch was ist wahrhaft gut für den Menschen? Aristoteles meint, der Mensch solle so sehr wie möglich zur Vollendung bringen, was er von natur aus ist, der Mensch muss wahrhaft zum Menschen werden. Die Leitlinie des Humanismus nimmt er vorweg, der sagt: ”Werde, was du bist !”

Der Fehler seiner Ethik besteht sicher noch darin, dass er annimmt der Mensch sei von natur aus gut, und er müsse nur seiner Aufgabe nachkommen, die ursprüngliche Güte seines Wesens zu verwirklichen. In seiner Zeit waren die Menschen noch der Auffassung, es stehe im Grunde richtig um sie, erst mit dem Ende der Antike und dem aufkommenden Mittelalter wird ein tiefes Gefühl der Verlorenheit über die Menschheit hereinbrechen.

Aristoteles will aber auch nicht die Antwort schuldig bleiben, was denn der Mensch von natur aus ist. Er vergleicht ihn mit seinen Unterschieden zum Tier, und kommt zu dem Ergebnis, der Mensch besitzt Geist, Vernunft, er besitzt den “Logos”. Dies ist, was der Mensch werden soll, das vernünftige Lebewesen. Im Logos erkennt er das wahre Wesen des Menschen, ihn erforscht er unablässig sein Leben lang, denn wenn der Mensch den Logos, sein eigenstes Wesen, in rechter Weise verwirklichen soll, dann kommt es darauf an, über diesen Logos bescheid zu wissen. Auch wenn er mit dieser Erkenntnis zum Urvater der Logik wurde, so verstand er und seine Zeitgenossen unter Logos noch etwas anderes, als wir heute mit Logik beschreiben. Der Logos ist für die Griechen die Fähigkeit, die Dinge zu erkennen und die Welt zu verstehen. Ein Tier erkennt nicht den Unterschied zwischen einem Stein und einem Stück Metall, es ist beides hart und beides kalt, erst der Mensch mit seinem Logos erkennt einen Unterschied, ist fähig zur Erkenntnis. Es ist seine Bestimmung die Welt zu erkennen. Nicht die Weltbeherrschung, wie im neuzeitlichen Denken, ist die Aufgabe des Menschen für Aristoteles, sondern lediglich Welterkenntnis, ist für die Griechen allgemein, der Sinn der menschlichen Existenz.

Daher ist die höchste aller menschlichen Lebensarten, die des erkennenden, nicht aber des handelnden Menschen ! Und wenn die Gegenwart noch etwas von der Hochschätzung des reinen Erkennens kennt, dann verdankt sie dies vorzüglich dem Weiterwirken des aristotelischem Gedankens ! Der Vorrang des Erkennens macht sich aber auch auf dem Gebiet des Handelns selbst bemerkbar, denn auch hier kommt es der Vernunft zu die Herrschaft auszuüben. Sittlich ist nur ein Handeln, welches sich nicht blind von Leidenschaften leiten lässt, sondern indem der Mensch besonnen durch Vernunft sein Dasein gestaltet. Dies allein bietet die Gewähr, dass der Mensch sich nicht selber zerstört!

- Ob Aristoteles schon vom Treibhauseffekt wusste? Wohl kaum, aber seine Gedanken erscheinen mir aktueller denn je.

Auch Aristoteles fragt nach dem Ursprung der Dinge, er fragt worin die Bewegtheit der Welt gründet, was sie also angeworfen hat. Wenn die ganze Welt nach Vollkommenheit strebt, sie sich ständig in diese Richtung bewegt, was war das erste Bewegte Teil, das die Welt in Bewegung gesetzt hat? Die Welt meint er würde in einem ersten Bewegten gründen, was aber seinerseits nicht bewegt ist, sonst müsse man ja fragen, wovon es bewegt wurde. Für ihn ist es eben dieser Zustand, dem alles entgegenstrebt, der Logos, die reine Vernunft, der Gott. Natürlich konnte er noch nicht den Gott des Christentums damit gemeint haben, weil er nicht den Schöpfer meint, der von außen die Welt in Gang gebracht hat, sondern er meinte die göttliche Kraft, die alles durchwaltet und zu ihrer vollkommensten Form streben lässt.

Weil es noch einen Unterschied zum christlichen Gottesbegriff gab, nannte Luther den Aristoteles einen “Fabeldichter” und einen “ranzigen Philosophen”, doch die Philosophen des Mittelalters haben sich oft auf ihn berufen und nannten ihn sogar gelegentlich den “Wegbereiter Christi im Felde des Natürlichen”.

Pythagoras

Der Guru

Pythagoras(570-510v.Chr.) wurde auf der Insel Samos geboren. Als Sohn des Mnesarchos, der wahrscheinlich ein erfolgreicher eingewanderter Kaufmann war und nicht aus einer vornehmen samischen Familie stammte, wie man lange Zeit annahm. Vielleicht war der Vater des Pythagoras auch ein Steinmetz, wie der des Sokrates, wir wissen es nicht, denn viele Angaben über diesen frühen antiken Philosophen sind sehr umstritten. Dies liegt nicht nur am hohen Alter der Quellen, die sich auch oft widersprechen, sondern vor allem daran, dass sich schon früh viele Legenden um diesen Mann rankten.

In seiner Jugend lernte er in Ägypten und Babylonien, den geistigen Zentren seiner Zeit. Das Wissen über Mathematik, Astronomie, Naturphilosophie und verschiedene religiöse Vorstellungen, haben sein weiteres Schaffen geprägt.

538 v. Chr. kehrt er in seine Heimat Samos zurück, doch verließ er sie bald darauf wieder, weil er mit dem tyrannischen Machthaber Polykrates kein gutes Verhältnis hatte.

Um 530 v. Chr. schließlich gründet er im griechisch besiedelten Unteritalien seine eigene Schule, in Kroton, dem heutigen Crotone in Kalabrien. Der innere Kreis der Mitglieder seiner Schule bildeten eine enge Gemeinschaft, die sich zu gemeinsamer Treue aber auch zur Verschwiegenheit nach außen verpflichteten. Es entstand der Geheimbund der Pythagoreer, die sich auf eine genau geregelte, bescheidene Lebensweise festlegten: “die pythagoreische Art des Lebes“.

Als ein geschickter Redner gewann Pythagoras großen Einfluss bei der Bürgerschaft Krotons, auch bei der nicht griechischen Bevölkerung und in anderen Gebieten der Region. Diesen Einfluss machte er politisch geltend: Zu jener Zeit befand sich Kroton in einem Streit mit einer anderen Stadt, namens Sybaris. Oppositionelle aus Sybaris waren nach Kroton geflüchtet, doch Sybaris forderte deren Auslieferung. Pythagoras verhinderte mit seinem Einfluss diese Auslieferung, woraufhin es 510 v. Chr. zum Krieg der beiden Städte gegeneinander kam, den Kroton gewann. Danach wurde in der Stadt um das eroberte Land gestritten, wobei sich der Unmut der Bürger gegen die Pythagoreer richtete.

An diesem Punkt unterscheiden sich dann die Berichte, die einen Quellen berichten davon, dass Pythagoras, den folgenden Unruhen zum Opfer fiel, bei denen die Pythagoreer unterlagen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er zuvor die Stadt verließ und nach Metapontion übersiedelte (heute Metaponto), wo er in hohem alter starb. Dort muss er in hohem Ansehen gestanden haben, denn die Metapontier erhielten sein Haus, indem sie es in ein Heiligtum umwandelten, das sie der Demeter weihten, der Göttin des Ackerbaus. Seine Anhänger hielten ihn für einen religiösen Propheten. Sie schrieben ihm Wundertaten zu und göttliche Fähigkeiten, manche betrachteten ihn sogar als Sohn des Apollons.

Heute ist Pythagoras vor allem als Mathematiker bekannt, wegen des nach ihm benannten “Satz des Pythagoras”. Er und seine Schule haben aber auch starken Einfluss auf die Musik, weil sie mit ihrer “Harmonielehre” das abendländische Tonsystem mitprägten. Von ihm selber sind jedoch keine musikalischen Dokumente erhalten, nur Legenden. Aber Philolaos, ein späterer Pythagoreer, der zur Zeit des Sokrates lebte, hat solche musikalischen Dokumente hinterlassen. Diese Tonsysteme wurden dann vom griechischen Philosophen Euklit weiterentwickelt, der jedoch viel Später lebte und wahrscheinlich aus der Akademie des Platons hervorging. Im Mittelalter wurden diese Tonsysteme übernommen und schließlich zu der uns heute bekannten Harmonielehre (Quintenzirkel) verbessert. Die Erkenntnis, dass Musik eine Wissenschaft ist, der mathematische Gesetze zugrunde liegen, ist ein Vermächtnis der Pythagoreer. “Alles ist Zahl” verstanden die Pythagoreer als erste der überlieferten abendländischen Wissenschaften.

Aber auch viel weniger mathematisches ist von Pythagoras und seiner Schule überliefert, wobei es heute schwer zu trennen ist, was von ihm stammt und was von seinen Schülern. In ihren mystischen Glaubenslehren vertraten sie die Vorstellung von der Wiedergeburt (Reinkarnation) und Seelenwanderungen, als erste der abendländischen Philosophie. Diese religiösen Vorstellungen lassen Einflüsse von indischen Lehren vermuten. Die Pythagoreer erklärten die Seelen als etwas göttliches, die den Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt durchbrechen können, was stark an hinduistische oder buddhistische Vorstellungen erinnert.

Seine Philosophie basiert auf der Lehre des Anaximander (610-546 v.Chr.), der mit dem “Erfinder” der antiken Philosophie, Thales von Milet in Verbindung steht, der wahrscheinlich mit ihm zusammen in Milet lebte und sein Lehrer war. Er gilt als der Erfinder des Wortes “Kosmos” , weil er sich als erster antiker Philosoph mit den Sternen, der Welt und dem Weltall beschäftigte. Auch eine erste Weltkarte geht auf ihn zurück. Er fragte nach dem Ursprung des Weltalls, das er auf seine Lehre vom “Apeiron” (altgr.: “das Unendliche”) stützte. Das “Apeiron”, oder besser gesagt, das Weltall habe seinen Ursprung (altgr.: Arché) im Unendlichen. Als erster antiker Philosoph schrieb er seine Gedanken nieder, in Form von Prosa, also erzählenden Texten, wovon heute nur noch Fragmente erhalten sind. Seine Weltkarte, auf der Europa, Asien und Nordafrika zu sehen sind, umgeben von einem riesigen Ozean, gilt als verschollen.

Ursprung der Dinge (Arché) ist das Unendliche (Àpeiron). Woraus aber den Dingen das Entstehen kommt, dahinein geschieht ihnen auch der Untergang, nach der Notwendigkeit. Denn sie zahlen einander Sühne und Buße für ihr Unrecht nach der Ordnung der Zeit.(Anaximander) siehe auch: “Thales von Milet”!

Das Weltbild der Pythagoreer war geprägt von der Meinung, die gesamte Natur könne man durch die Mathematik der ganzen Zahlen beschreiben. Also nur die ganzen Zahlen, die rationalen Zahlen hatten in ihrem Bild vom Universum einen Platz. Irrationale Zahlen, Zahlen mit einem Komma, waren ihnen anstößig. So konnte es nicht ausbleiben, dass der Überlieferung nach ein Schüler des Pythagoras, namens Hippasos, entdeckte, dass bei einer geometrischen Figur, wie zum Beispiel dem Quadrat, die Diagonale nicht einem ganzen Vielfachen der Seitenlänge entspricht. Die Länge einer Seite geht also nicht genau zwei mal in die Diagonale hinein, sondern nur 1,35 mal, oder so. Diese beiden Strecken sind also nicht “kommensurabel” (lat.: zusammen messbar). Hippasos entdeckte die Existenz “inkommensurabler Strecken”, d.h. Strecken, die nicht mit einem gemeinsamen Maß messbar sind, und damit auch die Existenz von irrationalen Zahlen.- Zum Dank für diese Entdeckung wurde er auf Befehl seines Meisters Pythagoras ertränkt, berichtet die Legende. Man nimmt jedoch an, diese Entdeckung wurde am Fünfeck, dem “Pentagramm” gemacht, weil dieses Symbol für die Pythagoreer wichtig war. An diesem Symbol entdeckte man auch die Existenz des “goldenen Schnittes”, weil die Strecke, die zwei Zacken des Sterns miteinander verbinden, genau dem Verhältnis von “Minor” und “Major” entspricht. Nach diesem mathematischen Verhältnis, soll die gesamte Natur aufgebaut sein, glauben zumindest Mystiker bis in die Gegenwart. Der “goldene Schnitt” könnte auch auf die Pythagoreer zurückgehen. Dieses Verhältnis, das auch auf irrationalen Zahlen basiert führte in der Gemeinschaft wahrscheinlich zu einer Spaltung.

Bekannt ist heute noch die Ansicht, menschliche Seelen würden in Bohnenkernen wiedergeboren, weil diese aussehen wurden, wie menschliche Föten. Auch wenn diese Theorie schon früher nicht ganz ernst genommen wurde, so kam der Verzehr von Bohnen für die Pythagoreer nicht in Frage, weil dies mit Mord gleichzusetzen sei. Daher war es für sie auch klar, warum nach dem Essen der Hülsenfrüchte die Blähungen einsetzten, weil die Seelen wieder nach außen strebten.

Das Weltbild des Pythagoras wurde wahrscheinlich hauptsächlich durch die Ägypter geprägt, aber auch die Perser, denen der Lehrsatz des Pythagoras vom rechtwinkligen Dreieck schon Jahrhunderte früher bekannt war, hatten Einfluss auf ihn gehabt. Die Überlieferungen berichten, er sei von ägyptischen Priestern eingeweiht worden und habe sich 22 Jahre lang mit Fleiß über jede Lehre unterrichten lassen: Sternenkunde, Geometrie und alle Göttermysterien. Vielleicht stammen seine Ansichten von der Wiedergeburt gar nicht aus dem indischen Raum, sondern von den Ägyptern; vielleicht hatten beide Kulturen sogar geistigen Austausch miteinander, wer kann das heute noch wissen.

Sicher scheint aber, dass die Pythagoreer mit einem anderen Geheimbund in Verbindung standen, mit den orphischen Mysterien, deren Lehren fast identisch sind, mit denen der Pythagoreer. Viele Details der antiken Geheimlehren wurden leider nur mündlich weitergegeben, und sind daher heute vergessen. Die orphischen Mysterien beziehen ihren Namen von der antiken Sage des Orpheus, dessen Vater der Gott Apollon(Gott der Musik, der Künste, des Lichtes, der Weissagung und der sittlichen Reinheit) und dessen Mutter die Muße Kalliope gewesen sein sollen. Der Orpheus versinnbildlicht die Unsterblichkeit der Seele, weil er zu Hades(Gott der Unterwelt) geht, um seine Liebe, die Nymphe Eurydike zurück zu holen, in die Welt der Lebenden. Dort spielt er auf seiner “Lyra” so bezaubernd, dass Hades seine Eurydike tatsächlich freigibt. Sollte er aber auf dem Weg nach oben sich umdrehen und seine Liebe ansehen, dann würde Hades sie wiederholen. Natürlich berührt sie seine Hand während des Aufstiegs, er dreht sich um und alle Mühe ist umsonst. Deutlich wird aber, wie der Orpheus- Kult und die pythagoreische Mystik zusammen stehen: Beide esoterische Gesellschaften befassen sich mit der Wiedergeburtslehre und der Musik.

Viele religiöse und mystische Vorstellungen haben sich auf das Schaffen des Pythagoras und seiner Schule ausgewirkt, so berichtet Hermippus von Smyrna, Pythagoras habe sich auch mit jüdischen Bräuchen, Gesetzen und Weisheiten ausgekannt, diese verehrt, praktiziert und seinen Schülern gelehrt.

Somit steht er auch in der Linie mit den Anfängen des Christentums, welches seine Anfänge im Judentum hat. Vielleicht war Pythagoras ja nur ein eifriger Sammler allen Wissens seiner Zeit, es ist möglich, dass die Pythagoreer nur Wissen zusammen gesammelt haben, und nicht durch eigene Beobachtungen erlangten. Es ist möglich hier den Grund am Mord des Schülers Hippasos zu finden, meine ich, weil er selber auf eine Erkenntnis gestoßen war, die sich vielleicht nicht mit den zusammengetragenen Lehren vereinbaren ließ. Selber denken war bei den Pythagoreern vielleicht verboten !?

Das ertränken von Mitgliedern war auch lange nach dem Tod des verehrten Gurus noch gebräuchlich, wenn jemand seinen Schwur der Verschwiegenheit oder irgend eines anderen Gesetzes gebrochen hatte. Fortschrittlich ist jedoch, dass auch Frauen dem Geheimbund beitreten konnten und in ihm zu großem Ansehen gelangten. Die meisten Quellen über Pythagoras beziehen sich auf den römisch- hellenistischen Philosophen und Mathematiker Iamblichos von Chalkis(ca. 250- 330 n.Chr.). Er berichtet auch von anderen bedeutenden weiblichen Pythagoreern.

In diese Schule, die 525v.Chr. als eine Gemeinschaft von etwa Sechshundert Männern und Frauen entstand, wurden nur die fähigsten aufgenommen. Einer derer, die abgelehnt wurden hieß Kylon. Zwanzig Jahre später nahm er Rache, und wurde somit verantwortlich für den Tod von Pythagoras und für die Zerstörung der bedeutendsten Schule der Mathematik, die die Welt je gesehen hat. Nach seinem Tod führte die Frau von Pythagoras, Theano von Kroton die Schule weiter, und später die gemeinsame Tochter Damo.

Als Pythagoreer gelten auch oft Philosophen und Mathematiker, die nicht aus der Schule des Pythagoras stammen, wie Euklid, der dem “Satz des Pythagoras” seinen Namen gab. Auch viele moderne Wissenschaftler verstehen sich noch als Pythagoreer, in Anlehnung an das Prinzip, das die Zahl als Ausgang der Erkenntnisfindung stellt. Sie stehen heute jedoch im Gegensatz zu dem “Newtonschen Prinzip”, das die Beobachtung an den Anfang stellt, um daraus unbekannte Naturgesetze herzuleiten. Deshalb werden moderne Pythagoreer oft als Esoteriker von der Fachwelt missachtet.

Das Vermächtnis dieser uralten Sekte, die sich der Wahrheitsfindung in der Philosophie, der Mathematik, der Religion und der Politik verpflichtet fühlten, ist jedoch enorm: Der “Satz des Pythagoras” am rechtwinkligen Dreieck, die Entdeckung “irrationaler Zahlen“, der “Quintenzirkel” in der Harmonielehre und vieles mehr, geht auf sie zurück. Auch wenn ihre Philosophie weniger mathematisch- logischen Gesichtspunkten folgte, weil sie Zahlenspekulationen hauptsächlich auf die Astronomie anwandten, so sind doch viele moderne Errungenschaften auf diese vorsokratischen Philosophen zurückzuführen. Auch wenn wir heute oft nur mit “vielleicht” und “wahrscheinlich” auf ihr Wirken zurückblicken können, weil ihr Werk umrankt von Mythen und Legenden im Dunkel der Geschichte verschollen ist.

Platon

Die Philosophie der Liebe

Wenn Philosophen, wie Sokrates, sich ein Leben lang mit den menschlichsten aller Fragen beschäftigen, so mag es nahe liegen, dass sie auch nach dem fragen, was die wahre Natur der Liebe ist.

Im antiken Griechenland bis in die Gegenwart ist der Begriff “Liebe” nur schwer zu trennen mit dem Begriff “Erotik” , der auch seinen Ursprung im antiken Griechenland hat: Der griechische Gott “Eros” nämlich war zuständig für Wein, Weib und Gesang, und so mag es nicht verwundern, dass er der Namensgeber für unsere prickelnden, fortschrittlichen Gelüste ist. Die Erotik im antiken Griechenland jedoch war geprägt von einer Art von Liebe, die bei uns heute nicht ohne Strafrechtliche Verfolgung ablaufen würde, oder zumindest gesellschaftliche Missachtung hervorriefe: Die Knabenliebe, die Liebschaft eines älteren Mannes, mit einem jüngeren, war in Griechenland damals nicht nur toleriert, sondern eine ständig praktizierte Sitte. Diese Tatsache heute noch nachvollziehen zu können, fällt sicherlich schwer, weil die Vorstellung allein für uns heute doch wenig erotisch ist, und wohl eher Ekel erregt. Damals jedoch gehörte es zum guten Ton, dass sich ein gut situierter älterer Mann mit Knaben einließ, die er nicht unbedingt mit Gewallt fügsam machen musste, da es vor allem die Knaben waren, die sich bei wohlhabenden Männern eine gute Partie erhofften.

Die Frauen im antiken Griechenland hatten auch nicht gerade viel zu lachen. Sowieso waren Frauen nur an der Seite eines Ehemannes zu sozialem Aufstieg fähig. Allein zu Wohlstand, Ansehen und Macht zu gelangen war kaum möglich. Deswegen erscheint es auch nicht verwunderlich, dass Frauen damals zu frustrierten Giftspritzen wurden, die ihr persönliches Glück mit Hilfe von Intrigen und Gerüchten versuchten. Das Frauenbild der Antike gibt wohl Platon(427-347v.Chr.) am Besten wieder, der behauptet, die Frauen stünden an Tugend weit hinter den Männern zurück und sie seien, als das schwächere Geschlecht, auch weit hinterhältiger und verschlagener als jene. Er nennt sie oberflächlich, leicht zu erregen und leicht zu erbittern, zu Schimpfreden neigend, dabei zaghaft und abergläubisch. Er meint, eine Frau zu sein, sei ein Fluch der Götter, den jene Männer trifft, die sich im Leben nicht zu beherrschen wussten und feige und ungerecht waren. Als Strafe dafür würden sie dann als Weiber wiedergeboren.

Zwar konnten Frauen auch Priesterinnen werden, aber nur im legendären Geheimbund der Pythagoräer, waren sie auch den Männern gleichgestellt.

In einer Zeit, in der nur Männer das Sagen hatten und in der es keine wirkungsvollen Verhütungsmittel gab, verwundert es kaum, dass dann schöne Jünglinge zum Objekt der Begierde wurden. Nur so konnte sich ein reicher, geiler Bock einem schönen Leib hingeben, ohne dabei einen Nachkommen zu zeugen, der dann irgendwann, irgendwelche Ansprüche erhebt oder einem ewig auf der Tasche liegt. Also eigentlich war es auch nicht viel anders als heute, nur konnte man zur Not noch auf Sklavinnen zurückgreifen.

Anders war da mal wieder unser verehrter Sokrates. Auch wenn uns Platon von ihm berichtet, er sei in zwei Dinge verliebt gewesen, in seinen jungen Schüler Alkibiades und in die Philosophie, auch wenn er meint Sokrates habe unentwegt die Nähe von schönen Knaben gesucht, so berichtet eben dieser Platon auch, wie dieser geniale Schüler des Sokrates, Alkibiades, vergeblich versucht habe seinen Lehrmeister zu verführen.

“(…) Denn bei den Göttern und den Göttinnen, ihr müsst wissen: Nachdem ich neben Sokrates geschlafen hatte, stand ich nicht anders auf, als wenn ich neben meinem Vater oder meinem älteren Bruder geschlafen hätte.” Zitat: Platon, in seinem Dialog “Symposion”

Es liegt nahe anzunehmen, die Jünglinge waren es, die die Nähe des Sokrates suchten, schließlich wurde er ja auch wegen der Verführung der Jugend angeklagt und zum Tode verurteilt. Einen echten Beleg für Sokrates Unzucht mit Knaben kenne ich nicht. Die Treue zu seiner Frau ist belegt, eben jener Xanthippe, die von Sokrates Freunden als das unerträglichste Weib, das “je gelebt hat und je leben werde“, beschrieben wurde. Über das Heiraten hätte er wahrscheinlich auch nur geantwortet: “Was du auch tust, du wirst es bereuen.”

Weil Athens Einwohner nach einem verlorenen Krieg dezimiert wurden, soll jeder nach dem Gesetz mit zwei Ehefrauen Kinder zeugen dürfen, weshalb sich Sokrates die schöne Myrto nahm, was aber eher unwahrscheinlich ist und daher eher in den Bereich der Legenden fällt, weil es keine Beweise gibt für diese Heirat.

Platons Vorstellungen von der Ehe sind nicht gerade auf echter Zuneigung aufgebaut: Sie dient nach seiner Ansicht einzig dem Zweck, wohlgeratenen Nachwuchs zu zeugen und aufzuziehen. Der Staat soll die geeigneten Partner zusammenführen; die Frauen werden den Männern für ihre Tapferkeit im Krieg als Lohn zugewiesen, oder werden als gemeinsamer Besitz der Männer betrachtet. Es scheint verwunderlich, wie ein Typ mit solch einem Frauenbild der Namensgeber der platonischen Liebe werden konnte, die weniger die sinnliche Liebe meint, sondern den Respekt der sich liebenden Partner zueinander betont. Platons Philosophie basiert auf der des Sokrates, unter dessen Eindruck Platon überhaupt erst zur Philosophie kam. Er versteht die Philosophie selbst als eine Weise des Eros, als vom Wesen her Liebe, ja im Namen dieser Geisteswissenschaft birgt die Anfangssilbe “Philo” den altgriechischen Begriff für Liebe. Doch der philosophische Eros, die philosophische Art der Liebe, ist für Platon nicht die sinnliche Liebe, die erotische Liebe ist nur der Ausgangspunkt, für einen Aufschwung, der zu etwas höherem hinauf führt. Für diesen Aufschwung ist es notwendig, dass man nicht in der sinnlichen Liebe verharrt, oder gar in dieser ausschweift, sondern sie muss überwunden werden, nämlich in etwas höheres hinein. Diesen Aufschwung schildert Platon in seinem “Symposion” über Sokrates, der bei der Seherin Diotima, aus Mantinea, erfahren habe, was das wahre Wesen des Eros sei:

Nämlich die Sehnsucht nach dem Schönen, oder das Verlangen im Schönen zu zeugen (und zu erzeugen). Dies, so meint Diotima, sei das eigentliche ewige im Menschen (seine unsterbliche Seele). Wer das Schöne haben möchte, der will es für immer besitzen, nicht nur für einen kurzen, vergänglichen Augenblick. Darum gehört es zur Liebe, das der/die Liebende nach Dauer, nach Unsterblichkeit trachte. Alle Menschen wollen das ewige, unsterbliche Schöne, keine vergängliche Kopie der Schönheit, sondern das Schöne, das niemals vergeht.

Diotima unterscheidet nun zwischen denen, die körperlich zeugen können, denen die dem “Leibe” nach zeugungsfähig sind und jenen die der “Seele” nach erzeugen können, die geistig erschaffen. Die körperlich zeugenden wenden sich den Frauen zu und zeugen Kinder, mit deren Hilfe sie ihre Begierde nach Unsterblichkeit befriedigen, weil ihre Kinder ihr Andenken in die Zukunft weiter tragen. Wenn einer aber von Jugend an der Seele nach zeugungsfähig ist, so sehnt er sich nach dem Schönen, indem er erschaffen kann, denn im Hässlichen will er niemals erzeugen. Zu schönen Leibern fühlt er sich dann eher hingezogen, als zu den hässlichen, und wenn er darin auch noch eine schöne, wohlgeratene Seele antrifft, dann fühlt er sich zu beidem gänzlich hingezogen. Diesem Menschen gegenüber findet er sogleich eine Fülle von Worten, wie ein guter Mensch zu sein hat und beginnt diese Person zu erziehen. Er versucht dem Schönen so nahe wie möglich zu kommen, dem was ihm schon zu Beginn vorschwebte. Nur daran denkt er, nur davon wird er angetrieben, und gemeinsam versuchen sie ihre erzeugte Schönheit aufzuziehen, damit sie noch schöner wird.

Jetzt erst aber kommt Platon auf das eigentliche philosophische Geheimnis des Eros zu sprechen, denn er lässt Diotima folgendes sagen:

“Soweit kannst vielleicht auch du, Sokrates, in die Mysterien der Liebe eingeweiht werden. Ob du aber zu den höchsten Feiern und Weihen fähig bist, derentwegen all jenes andere geschieht, wenn man es richtig darstellt, das weiß ich nicht. Ich nun will es dir sagen, und ich werde es an Bereitwilligkeit nicht fehlen lassen; du aber versuche zu folgen, wenn du dazu im Stande bist. Wer in der rechten Weise darauf zugeht, der muss in der Jugend damit beginnen, sich den schönen Leibern zuzuwenden. Zunächst muss er, wenn er richtig geführt wird, einen einzigen Leib lieben und da schöne Worte zeugen. Sodann muss er bemerken, dass die Schönheit irgend eines Leibes der eines anderen Leibes entspricht; dass es ferner, wenn man verfolgen soll, was dem Wesen nach schön ist, von großem Unverstand zeugen würde, wenn man nicht die Schönheit in allen Leibern für ein und die selbe hielte. Wenn er das begriffen hat, wird er sich Liebhaber aller schönen Leiber zeigen, und er wird es verachten und gering davon denken, einem einzigen allzu sehr nachzugeben. Darauf wird er die Schönheit in den Seelen für wertvoller halten als die im Leibe. Wenn einer an seiner Seele tüchtig ist, aber nur wenig jugendliche Schönheit besitzt, wird ihm das genug sein. Er wird ihn lieben, wird sich seiner annehmen und wird solche Worte zeugen, die die Jünglinge besser machen. Dadurch wird er gezwungen, auf das Schöne in den Lebenshaltungen und in den Gesetzen zu achten und zu sehen, dass all dies miteinander verwandt ist, so dass er das Schöne, das dem Leibe zukommt, gering achtet. Nach den Lebenshaltungen muss er sich zu den Erkenntnissen begeben, um wiederum deren Schönheit zu erblicken. Indem er nunmehr das Schöne in seiner Vielfalt anschaut, wird er nicht nur einem einzigen dienen… Er wird sich vielmehr auf das weite Meer des Schönen begeben und im Anschauen viele schöne und großartige Worte und Gedanken gebären, in neidloser Liebe zur Weißheit, bis er dann gekräftigt und erwachsen jene einzige Erkenntnis erblickt, die auf die Schönheit als solches geht. (…)Nunmehr in den Dingen der Liebe zum Ziel gelangt, wird er plötzlich etwas wunderbares und seiner Natur nach Schönes erblicken: eben jenes, Sokrates, um dessentwillen auch alle früheren Anstrengungen gemacht wurden. Es ist zum ersten immer seiend, weder entstehend noch vergehend, weder wachsend noch abnehmend; sodann ist es nicht bald schön, bald hässlich. (…) Es ist vielmehr in einer Weise immer seiend, dass es selber eines einzigen Wesens ist. Alles andere Schöne hat an ihm in gewisser Weise teil. (…) Wenn also einer durch die rechte Liebe von all jenem Geschilderten aus aufsteigt, beginnt er jenes Schöne zu erblicken und rührt damit beinahe an das Ziel. Denn das heißt auf rechte Weise auf die Dinge der Liebe zugehen oder von einem anderen dahin geführt werden, dass man von jenem einzelnen Schönen ausgehend des Schönen selber wegen immerzu gleichsam auf Stufen aufzusteigen beginnt: Von einem schönen Leib zu zweien und von zweien zu allen, von den schönen Leibern zu den schönen Lebenshaltungen, von den Lebenshaltungen zu den schönen Erkenntnissen, von den Erkenntnissen schließlich zu jener Erkenntnis, die sich auf nichts anderes bezieht als auf das Schöne selber. (…) Hier, wenn irgendwo ist das Leben für den Menschen Lebenswert; denn er schaut nun das Schöne selber.”

Platons platonische Liebe ist nicht das einfache unterdrücken der sinnlichen Begierde, sie überschwingt sie in eine höhere Form des Verlangens hinein: Über die Schönheit der Leiber, über die der Seelen, der Lebensführungen und der Erkenntnis, drängt sie eben zu allem was schön ist, zum Wesen oder zu der Natur der Schönheit selbst. Der Eros wie Platon ihn versteht, ist das Streben nach dem Urbild des Schönen, nach der perfekten Vorstellung, wie wahrhaftige Schönheit sein müsste. Diese “Idee” des Schönen ist das, wonach alle Menschen streben, der Grund für alle Errungenschaften und Anstrengungen. Jeder weiß also von Natur aus, was wirklich schön ist, er muss es nicht erst erlernen. So trägt jeder Mensch in seiner Seele ein Urbild dessen, was wahrhaftig Schön ist, so wie er ein Urbild dessen in sich trägt, was wahrhaftig Gerecht ist, was Tugendhaft ist, was Fromm ist, was Sittlich ist und all diese Dinge, die das rechte Verhalten des Menschen ausmachen, und diese Urbilder können und sollen sein Handeln bestimmen. Platon meint weiter, dass wir nur durch diese Urbilder beurteilen können, ob etwas schön oder hässlich ist, etwas gerecht oder gemein, und dass sich diese Urbilder nicht nur auf das menschliche Handeln beziehen, auch was ein Baum ist wissen wir nur, weil wir ein Urbild eines Baumes in unseren Seelen tragen, was eine Wolke, was ein Stein, was Metall und was flüssig ist. Nur durch diese Urbilder kann der Mensch sagen, dies ist eine Pflanze, dies ein Tier; dies eine gute Tat, dies ein Verbrechen. Alles was existiert trachtet danach seinem Urbild immer ähnlicher zu werden, sodass die Welt einen unablässigen Drang zur Vollkommenheit nachgeht, ihrem Eros zur Idee. Diese Idee der Realität, die Vorstellung in uns, wie die Welt perfekt wäre, ist für Platon eben die höchste Erkenntnis, die wahre Natur der Liebe. Wir alle tragen also “Urbilder” einer vollkommenen Welt in unserer Seele.

Wenn aber alles Werdende und Vergehende nur einem Ideal nacheifert, dann, so schließt Platon, ist das eigentliche Reale gar nicht diese Dinge, sondern ihre Urbilder, denn alles was wird, vergeht auch wieder, aber die Urbilder bleiben. Die Dinge sind nur fehlerhafte Abbilder dieser perfekten Idee. Diotima sagte, die wahre Schönheit, das Urbild der Schönheit sei “immerseient, weder werdend noch vergehend, weder wachsend noch abnehmend.” Die Urbilder, das Urwirkliche ist daher unvergänglich. Weil aber alles Seiende ihm entgegeneifert, strebt das Vergängliche nach dem Ewigen, das ist nach Platon das Geheimnis der Wirklichkeit. Diese Urbilder dessen, was der Mensch wahrnimmt, hat er sich aber nicht selber ausgedacht, hat sie auch nicht durch Erfahrung erworben, sondern hat sie erlangt, bevor er das zeitliche Dasein fristete. Die Erkenntnis also darüber, was ein Baum ist, eine Wolke oder Gerechtigkeit und Schönheit, erlangte die menschliche Seele, bevor sie das Licht der Welt erblickte. Erkennen ist also wieder erinnern, die Seele muss vor ihrer irdischen Existenz schon existiert haben, wo sie die Urbilder dessen aufschnappte, was sie wieder erkennt. Somit muss der Mensch eine unsterbliche Seele besitzen.

In seinem Dialog “Phaidros” erzählt Platon, wie die menschlichen Seelen zu diesen Urbildern gelangten. Zeus der Göttervater fährt mit einem geflügelten Pferdewaagen, in einer Zeit vor der menschlichen Existenz, oberhalb des Himmelsgewölbes herum, hinter ihm ein Schweif aus Göttern, Dämonen und schließlich die Seelen der Menschen. Bei jeder Wendung des Wagens, schweifen die Seelen dann herum und gelangen außerhalb des Himmelsgewölbes, wo sie einen flüchtigen Blick auf das wahrhaft Seiende erfahren. Von dieser Schau her, die dem Menschen vor seiner Existenz gewährt wurde, bleibt ihm in seinem irdischen Dasein eine Sehnsucht. Er strebt zurück zu seinem Ursprung, aus dem er abstammt. Deshalb sehnt er sich schon in seinem irdischen Leben, nach dem wahrhaft Schönen, welches er wieder sehen möchte.

“Wenn einer die Schönheit hier sieht und sich dabei an das Wahre erinnert, wird er mit Flügeln versehen, und so geflügelt sehnt er sich danach, sich hinauf zu schwingen. Das aber vermag er nicht. Darum blickt er nun wie ein Vogel nach oben und vernachlässigt, was unten ist. Dann beschuldigt man ihn, er sei wahnsinnig. Das aber ist der beste aller Enthusiasmen.(…) Nur wenigen bleibt eine ausreichende Erinnerung. Wenn diese aber etwas erblicken, was dem ähnlich ist, was sie dort gesehen haben, geraten sie außer sich und sind nicht mehr ihrer selbst mächtig.”

Dieser Enthusiasmus ist für Platon der Weg auf dem man wieder zum reinen Anschauen der wesenhaften Dinge gelangen kann, der Weg der Philosophie, auf dem der Mensch in der Lage ist, die Urbilder des Seienden wieder zu erkennen. Die Philosophie sei ein Geschenk der Götter. Indem sie ihn hinaus reist aus seinem alltäglichen Dasein, und ihn hinaufbringt zu den Urbildern, gleicht sie zwar dem Wahnsinn, diese Art von Wahnsinn sei aber herrlicher, als jede Besonnenheit, denn sie ist vom Wesen her erotisch. Philosophie bedeutet übersetzt: “Liebe zur Weißheit”. Da die Weißheit zu den schönsten Dingen gehört, muss der Gott Eros selber auch ein Philosoph sein, argumentiert Platon.